Ich mag ja die 12 Tage von Weihnachten bis zum 6. Januar lieber als die oft so atemlose Zeit davor. An den Festtagen ist reichlich „Leben in der Bude“, Glanz und Fülle – und das ist auch gut so. Danach wird es ruhiger – nicht, weil Weihnachten jetzt vorbei ist, sondern weil eine weihnachtliche Zeit mit anderer Qualität und Eigenschaft beginnt. Man nennt sie die „Zeit zwischen den Jahren“ oder auch „die 12 Rauhnächte“ – geprägt vom wachsenden Licht der nun wieder länger werdenden Tage, von Nachklängen und Musik, von Magie und Geheimnissen der alten Geschichten, vom aufmerksamen Wandern/Wandeln, vom Rhythmus der 12 Monate im Jahreslaufes, die nun hinter uns und die vor uns liegen.
Und mittendrin: das weihnachtliche „Fürchtet euch nicht“, das mit einigen „Ja, aber…“ ringen muss, um als Zuversicht den Sprung ins neue Jahr zu schaffen…
Beängstigendes und Heilendes – beides gehört zusammen
Was mich am Charakter dieser „Zwischenzeit“ fasziniert, ist diese Mischung aus Rauheit und Ungewissheit, gepaart mit dem Staunen über das unverhofft, das geheimnisvoll Schöne und Heilende/Heilige dieser Tage und Nächte. Es enspricht nach meinem Empfinden viel stärker und stärkender unserem tatsächlichen Lebensgefühl als die oft bis ins Kitschige verklärte Harmonie, die rund ums Weihnachtsfest so gern beschworen wird.
In den Traditionen, Legenden und Mythen der Rauhnächte (hier bewusst in alter Schreibweise / nach Duden: Raunächte) mischen sich in Europa unterschiedliche spirituelle Erfahrungen und Erzählungen mit Bildern und Rhythmen agrarischer Lebensweisen, dem Mond und dem Sonnenjahr. In allem ist beides spürbar: das Beängstigende und das Heilende, die Bedrohung und die Bewahrung, das Scheitern und das Gelingen.
So aufgeklärt wir uns auch über den Volksglauben früherer Generationen wundern mögen – die Auseinandersetzung mit Angst und Hoffnung ist nach wie vor ein Lebens- und ein Jahresthema in allem, was uns zum Handeln, Verwandeln und Ermöglichen herausfordert:
im Schmerz um menschliche Verluste wie im Entsetzen angesichts von Kriegsgewalt und Menschenrechtsverletzungen in so vielen Teilen der Welt. Gerade in der Sorge um Klimaveränderungen und Artensterben offenbart sich nicht zuletzt eine fortschreitende Entfremdung und Verletzung natürlicher Begrenzungen und Rhythmen im Gleichgewicht von Schützen und Verbrauchen und in der Beziehung zur Mitwelt. Umso wichtiger ist es, wieder vertrauter und schonender mit diesen Quellen und elementaren Lebensgrundlagen umzugehen.
Ver-wandlung meint ein aufmerksames Gehen
Dabei bleibt neben allen Handlungsoptionen das Unverfügbare heute wie damals ein Teil der Wirklichkeit. Mit dieser Spannung und Ambivalenz leben lernen, üben wir jedes Jahr aufs Neue. Und die Zeit „zwischen den Jahren“ bietet dafür eine hilfreiche Zäsur, um ehrlich zurück zu schauen und Kraft zu schöpfen für die Wege ins neue Jahr – um „Ver-wandlung“ vom Wortsinn her als ein aufmerksames Gehen zu begreifen, als eine umsichtige Bewegung, vielleicht auch als Umkehr.
Da schwingt noch etwas anderes mit als der eher technisch anmutende Begriff der Transformation. Da geht es um eine Verwandlung, die sich nicht außerhalb von uns „machen“ lässt, sondern die sich in der Bewegung vollzieht:
Ein Blick zurück
auf zerzauste Wochen
mit rissiger Hoffnung –
selten ein Monat,
der glatt schien und rund.
Wir reiben uns
an den verwickelte Fragen
weltweit und ganz nahe
die Schutzhaut wund,
standen im Nebel,
im Sturm dieses Jahr.
Und doch –
in alles, was ist und war,
reihten sich unverhofft leuchtende Tage,
helle Gedanken nach schlafloser Nacht,
ein Bild, ein Gespräch, das den Anfang macht,
um anders zu hören, zu handeln, zu gehen
auf Wegen,
die unter den Füßen entstehen.
Susanne Brandt, im Dezember 2022
Mehr zu den Rauhnächten: Trolle Frau Holle und Rauhnachtgeheimnisse
Siehe auch in diesem Blog:
Zeit für Geschichten – die Magie der 12 Rauhnächte in Bildern und Legenden