Zeit für Geschichten –  die Magie der 12 Rauhnächte in Bildern und Legenden

Die  zwölf Rauhnächte (hier bewusst alte Schreibweise / nach Duden: Raunächte) zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag (6.1.) stellen in ganz Europa ein kulturhistorisches Phänomen dar. Sie sind geprägt von vielschichtigen Überlagerungen aus altem Brauchtum und christlicher Überlieferung. Unzählige Legenden mit jeweils regionalen Variationen umkreisen und deuten das Mysterium dieser besonderen Zeit, z.B. mit Geschichten von der Geburt des Lichtes, aber auch von Gefahren, Rätseln und Unsicherheiten, die in dieser Zeit eine besondere Achtsamkeit fordern.

So bekommen z.B. die Italiener der Überlieferung nach Besuch von der Weihnachtshexe Befana, die nicht nur mit unserer Frau Holle verwandt ist, sondern auch mit der russischen Babuschka.

Unter den  Erzähltraditionen von wandernden Frauen und magischen Kräften dürfte die von Frau Holle sehr alt sein: Sie zog in den Rauhnächten über Land, um die Felder mit Fruchtbarkeit für das kommende Jahr zu segnen.

Vieles vom alten Brauchtum wurde später christlich neu gedeutet und ist uns als weihnachtliche Symbolik für Licht und neues Leben vertraut. In Skandinavien gilt der gesamte Zeitraum zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar als unruhig. Die Menschen erzählen einander von Kobolden, die sich mal geheimnisvoll, mal garstig bemerkbar machen. In Island sind es gar dreizehn Trolle, die mit allerlei Unarten den häuslichen Frieden stören. In anderen Überlieferungen ist von einem Götterbären die Rede: Der erwacht in der Zeit der Wintersonnenwende aus tiefem Schlaf und verlässt seine Höhle. Unter seinem Pelz verborgen schützt er den jungen Sonnengott. Er tritt hinaus in das Licht des Tages, um zu sehen, ob die Sonne nun allmählich stark genug ist, ihn und alles Leben zu wärmen.

Erkennbar ist der Ansatz dieses Märchens auch in dem Märchen „Schneeweißchen und Rosenrot“. Unter dem Pelz des Bären verborgen leuchtet Gold und der junge Prinz ist in ihm verborgen. An die Erdenmutter lässt sich bei der Figur der alten Mutter denken, welche dem Bären im Winter Zuflucht gewährt. Auch hier lassen sich wiederum Bezüge zur alten Frau Holle ausmachen.

Aus dem Schatz der literarisch verarbeiteten Quellen erzählt z.B. Selma Lagerlöfs Legende Die Heilige Nacht“ von solchen Ereignissen, die „nicht mit rechten Dingen zugehen“: Hunde, die nicht beißen und heiße Kohlen, die mit bloßen Händen getragen werden können, werden dem mürrischen Hirten zu magisch anmutenden Zeichen, die ihn dazu bringen, sich selbst auf den Weg zu machen.

Das Wandern als Akt einer bevorstehenden Verwandlung, die Abkehr vom Alten und die wachsende Bereitschaft für eine hellere neue Wirklichkeit lassen sich hier christlich wie auch als Hinweise auf sehr viel ältere Überlieferungen vom Geheimnis dieser Nächte deuten.

Dabei verweist die Rahmengeschichte bei Selma Lagerlöf zugleich auf die immerwährende Möglichkeit solcher Wunder, wenn die Großmutter dem Kind erklärt: „Aber was der Hirte sah, das könnten auch wir sehen.“

Offenbar hat Monika Bosch, die Illustratorin der Kamishibai-Bilder zur Legende, diese Jahr für Jahr neu zu verstehende Botschaft ohne Worte beherzigt, indem sie mit den ganz alltäglich daherkommenden Figuren einen deutlichen Gegenwartsbezug herstellt.

So geht es in und neben all diesen Geschichten um die sich jährlich wiederholende Erfahrung, dass in diesen Tagen etwas Altes beendet wird und etwas Neues sich ankündigt – auch wenn das noch nicht ganz zu fassen ist. Ihren Ursprung haben die Rauhnächte vermutlich in der Zeitrechnung nach dem Mondjahr. Ein Jahr aus zwölf Mondmonaten umfassst lediglich 354 Tage. Um also mit den 365 Tagen des Sonnenjahres in Übereinstimmung zu bleiben, werden die fehlenden elf Tage bzw. zwölf Nächte als „Tage außerhalb der Zeit“ eingeschoben. An solchen Tagen sind – so die Überlieferung – die Gesetze der Natur außer Kraft gesetzt und die Grenzen zu mystischen und magischen Welten aufgehoben.

Wie immer Menschen sich heute dafür öffnen, diese Zeit als eine besondere Zeit des Wandels wahrzunehmen – es war und bleibt eine Zeit für Geschichten. Denn ohne das Erzählen haben Hoffnungen, Symbole und Erfahrungen kaum Chancen, von Menschen an Menschen weitergegeben, gedeutet und neu mit dem Leben verbunden zu werden.

Susanne Brandt

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Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt