Das Rabengeheimnis. Eine Geschichte für Wintertage und Raunächte

Wenn ich diese Tage aus dem Fenster schaue, landet oft ein Rabe auf der Gartenpforte – als wollte er mir ins Fenster schauen…

Die Natur in diesen grauen Tagen scheint weniger bunt und vielfältig als zu anderen Jahreszeiten. Umso inspirierender kann es sein, sich  gerade jetzt auf Geschichten und Lieder zu besinnen, die naturverbundene Geheimnisse aus dem Grau locken – ohne das Klischee einer weißen Glitzerwelt, wie wir sie in unseren Breiten nur noch selten erleben.

Und eben da kommt der Rabe vor meinem Fenster ins Spiel…

Denn zum Rückblick auf Naturgeschichten und -lieder, die in den letzten 30 Jahren meine Praxis über eine lange Zeitspanne begleitet haben, gehört ein Rabenmärchen, das seinen Ursprung wohl bei den Korjaken im äußersten Osten Russlands hat – von mir als Erzählinspiration entdeckt in dem Buch „Die Kranichfeder. Märchen aus dem hohen Norden der Sowjetunion“, erschienen im Kinderbuchverlag Berlin 1975.

Mit frei variierten Motiven nacherzählt hier: Das Rabengeheimnis

So, wie ich es heute mit Kindern entfalte, wurde es in der ursprünglich tschuktscho-kamtschadalischen Sprache nicht erzählt und ließe sich wohl auch kaum in einer anderen Sprache so wiedergeben. Es ist gut, sich dessen bewusst zu sein und die Märchenmotive der mündlichen Inspirationsquelle indigener Kulturen im Norden mit Respekt und Dankbarkeit zu achten. So lernen wir von ihnen, an das gemeinschaftliche Erzählen von der Natur anzuknüpfen – wohl wissend, dass wir das hier und heute anders tun.

Was uns verbindet, ist das gemeinschaftliche Teilen von Geschichten als Mitteilung für und von der Welt. Solche Geschichten lenken die Aufmerksamkeit auf Naturerfahrungen und das Unverfügbare im Zusammenleben und vertiefen die Beziehung dazu – damals wie heute.

Mehr dazu auch hier: Handreichung zu „Erzählen im Norden“

Durch die ursprünglich mündliche Tradierung ist die Geschichte auch in variierter und gekürzter Fassung am besten für das mündliche Nacherzählen geeignet. Elementar geprägt durch Naturphänomene des jeweiligen Erzählraumes kann sich die Geschichte verändern und mit den jeweils zur Erzählsituation passenden landschaftlichen und jahreszeitlichen Eigenschaften immer wieder anders verbunden werden. Das geschieht nicht aus Gleichgültigkeit gegenüber der ursprünglichen Fassung, sondern aus dem Bewusstsein für die besonderen Erzählmittel des Märchens, die die Aufmerksamkeit auf den Zauber von Naturphänomenen lenken – dort ganz anders als bei uns.

Die hier vorgestellte winterliche Erzählversion erlaubt in unserem Kulturraum auch Assoziationen zu den Geheimnissen der Raunächte (während in der ursprünglichen Region andere Riten und Mythen eine Rolle gespielt haben mögen) und erweitert den Schatz winterlicher Naturgeschichten mit einem Beispiel, das ohne Schnee und Eis auskommt und damit den realen Natureindrücken der Zeit zwischen November und Februar in vielen Teilen Nord- und Mitteleuropas besonders nahekommt.

Eine weitere Variation nach der traditionellen Quelle mit etwas anderen Akzenten und jahreszeitlichen Bezügen zum Herbst ist hier zu finden:

So oder so erinnert die Botschaft an die Achtung vor dem, was wir im Zusammenspiel mit der Natur von unserer Mitwelt wahrnehmen können. Immer wieder am Staunen und am Wunder des Lebens teilhaben – das heißt, auch Grenzen des Be-Greifbaren anzuerkennen, Zurückhaltung zu üben und das Unverfügbare zu akzeptieren. Zugleich ergeben sich durch das Erzählen viele Gesprächsanlässe zur Artenvielfalt, wie sie sich im Laufe des Jahres in der Landschaft und Natur entdecken und benennen lässt.

 

Medien-Tipps:

Zum Thema passt der Einsatz des Bilderbuches

  • Xenia Joss: Schlau, schwarz und kunterbunt. Die Welt der Rabenvögel. Atlantis, 2021

 

Als Einstimmung oder Ausklang  der Geschichte passen auch einfache Lieder aus der Sammlung „Komm und schau dich um“, erschienen im Strube Verlag, wie z.B. mit neuem Text auf die alte Kanonmelodie „Hejo, spann den Wagen an“ gesungen:

Schau, so leuchtet uns das Jahr / Überall wird Wandel offenbar / Leben will sich runden / bleibt im Kreis verbunden.

Oder auch „Heute ist Wunderzeit“ oder „Grünes Blatt und Gelbes Blatt“, mit Hörbeispielen hier:

Komm und schau dich um – Lieder zum „Tag der Erde“

 

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt