Die Journalistin Milena Jesenskà (1896-1944) gehört für mich zu den bemerkenswertesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts – nicht nur als Freundin Kafkas, wie sie gern dargestellt wird. Ein Besuch in Prag heißt für mich auch: sich vorzustellen, wie und wo sie sich hier bewegt und engagiert hat. Aus verschiedenen Recherchen weiß ich, dass sie ausgedehnte Spaziergänge liebte – in der Stadt wie in den so friedlich und lebensbejahend wirkenden Landschaften Böhmens. Sie kannte die Spannung zwischen dem Glück in der üppigen Schönheit der Natur und der heraufziehenden Katastrophe im Europa der 1930er Jahre. Und sie fand sehr persönliche Worte dafür.
Dabei schreckte sie nicht davor zurück, auch das Unrecht zu benennen und den Flüchtenden an der Grenze zu helfen. Bis zuletzt gab sie den Traum von einem Europa ohne Grenzen als gastfreundliche Gemeinschaft von Menschen mit verschiedenen Sprachen nicht auf. 1944 starb sie im KZ Ravensbrück.
Bei aller Kritik an den politischen Entwicklungen und Ideologien ihrer Zeit war ihr die Besinnung auf das Gute und Wunderbare im Detail des Augenblicks kostbar und wichtig. Nicht als Flucht vor dem kommenden Unheil, sondern als Halt und Bestärkung der guten Möglichkeiten des Lebens.
Möglich ist das auch heute noch – inspiriert von dieser Präsenz und Liebe durch Prag zu gehen, um abseits der schrillen Touristenströme auf die stillen Winkel und Wege zu achten und sich die Glücksmomente und zauberhaften Details zu vergegenwärtigen: der kleine alte Notenladen mit seiner warmherzigen Besitzerin, die Wandmalereien im Emmauskloster, die gerade den „vergessenen Frauen“ der Bibel so viel Beachtung schenken (und das bereits im 14. Jhd). Oder auch: sich einfach freuen an den herrlichen Streuobstwiesen am Hang über den Dächern. Oder an einer blühenden Holunderhecke im idyllischen Umland der großen Stadt.
Wie und wo auch immer: Für Milena war das Gegenwärtige von größtem Wert – und eine Kraftquelle, um mit den Bedrohungen und Ängsten im Zukünftigen leben und mutig darauf reagieren zu können.
Jetzt ist die Zeit…
Weitere Beiträge zu Milena Jesenskà auch hier:
https://www.deutschlandfunk.de/milena-jesenska-prager-hinterhoefe-im-fruehling-die-100.html
https://waldworte.eu/2012/07/21/mit-eingeschaukeltem-herzen-denken-in-bewegung-bei-milena-jesenska/