Wie klingt Frieden? Gedanken zum UNESCO-Welterbetag 2025 in Lübeck

Nach einer Friedensgeschichte klingt das erstmal nicht. Eher ein bisschen nach „Turmbau zu Babel“: Der Ansporn für den Rat von Lübeck, im 13.-15. Jahrhundert in mehreren Bauphasen die Marienkirche als eine alles überragende Basilika mit Doppelturmfassade zu bauen, ging zunächst von weltlichem Machtstreben der Kaufleute und von einer erbitterten Auseinandersetzung mit dem Bistum Lübeck aus. Kein Bauwerk der Versöhnung also, das heute zum Weltkulturerbe der Lübecker Altstadt gehört?

Geschichte ist immer auch von Widersprüchlichkeiten, von Brüchen, Scheitern und Neuanfängen geprägt. Vermittlung an Weltkulturerbestätten heißt also nicht Verklärung, sondern Auseinandersetzung mit wechselvollen Zeiten der Menschheitsgeschichte, die an Kunst- und Bauwerken wie auch in Landschaften über viele Jahrhunderte ihre Spuren hinterlassen haben.

Wenn heute also die weltweit gemeinsamen Welterbe-Ziele Völkerverständigung, Nachhaltigkeit und Friedenssicherung heißen, so ist damit vor allem das Anliegen einer lebendigen Erschließung, Interpretation und Einsicht für Gegenwart und Zukunft beschrieben, die elementar zum Welterbe-Gedanken gehören.

Am Beispiel der Marienkirche in Lübeck lässt sich das sehr gut an den Glocken verdeutlichen – ganz besonders an der Abendglocke wie auch an den Choralmelodien des Carillons – die regelmäßig in den Alltag der Menschen hinein klingen und in besonderer Weise mit Krieg und Frieden verbunden sind:

Abendglocke mit Bild und Klang

Der Bombenangriff auf Lübeck in der Palmsonntagnacht zerstörte 1942 das siebenstimmige Geläut der Marienkirche, das sich im Südturm befand. Die größte und die drittgrößte Glocken liegen seitdem zerborsten auf dem Boden der Südturm-Kapelle (Gedenk-Kapelle). Sie sind bis heute und mehr denn je ein ausdrucksstarkes Mahnmal für Frieden und Versöhnung.

Und noch ein Zeichen in dieser Gedenk-Kapelle unterstreicht heute die Botschaft der zerborstenen Klänge: das Nagelkreuz aus Coventry.  1971 wurde St. Marien Nagelkreuzzentrum und Mitglied der Nagelkreuzgemeinschaft. Nach der Zerstörung der Kathedrale zu Coventry  am 14./15. November 1940 durch deutsche Bombenangriffe ließ der damalige Dompropst Richard Howard die Worte „FATHER FORGIVE“ in die Chorwand der Ruine einmeißeln. Diese Worte bestimmen bis heute das Versöhnungsgebet, das die Aufgabe der weltweiten Christenheit umschreibt.

Jeden Freitag (Mai bis Oktober, außer an Feiertagen) findet dort bei den zerbrochenen Glocken um 12:05 Uhr, wie in allen Nagelkreuzzentren, ein Friedensgebet mit der Versöhnungslitanei von Coventry statt. Angesichts zahlloser Kriege und gewaltsamer Konflikte weltweit, bleibt die Bitte um Versöhnung wie auch der Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung eine starke Hoffnung angesichts der Zeichen von Krieg und Zerstörung.

 

Hoch oben vom Turm klingt zugleich das nach dem Krieg erneuerte Geläut (auch das ist eine Geschichte für sich…) und trägt die Botschaft des Friedens, eingraviert in vielen Sprachen, Tag für Tag ins Weite.
Um das einmal ganz nah zu erleben, darf man sich unter fachkundiger Führung hinauf wagen, auf Backsteinstufen, Leitern und Stiegen die alten Türme erkunden, die Glocken mit ihren Friedensinschriften aus der Nähe betrachten – und hören!
Dabei geht der Klang buchstäblich durch Mark und Bein.

Wie klingt Frieden?
Nicht leicht zu beantworten, aber immer wieder auszuloten mit den Stimmen und Klängen, die unser Leben prägen.

Mehr Infos: https://www.st-marien-luebeck.de/

 

Zum Hintergrund 

Der 1. Juni ist UNESCO-Welterbe-Tag – und feiert in diesem Jahr 20jähriges Jubiläum.
Er bietet Anlass, Welterbestätten mit ihren vielfältigen Facetten neu oder anders kennenzulernen, lebendige Erfahrungen damit zu teilen und zu vermitteln. Aktuell zählen mehr als 1.200 UNESCO-Welterbestätten in weltweit 168 Ländern zum UNESCO-Welterbe. 54 von ihnen befinden sich in Deutschland, darunter auch: die Hansestadt Lübeck mit ihrer historischen Altstadt und den „7 Türmen“ als weithin erkennbares Gesicht.
Welterbestätten sind Zeugnisse vergangener Kulturen, künstlerische Meisterwerke und einzigartige Naturlandschaften wie beispielsweise dem Wattenmeer. Ihnen gemeinsam ist ihr außergewöhnlicher universeller Wert, also ihre Bedeutung nicht nur für nationale oder lokale Gemeinschaften, sondern für die gesamte Menschheit. Mit der UNESCO-Auszeichnung „Welterbe“ erkennen Menschen weltweit über alle nationalen, religiösen, ethnischen und sonstigen Grenzen hinweg die gemeinsamen Welterbe-Ziele Völkerverständigung, Nachhaltigkeit und Friedenssicherung an und wirken daran mit, diese aus der Vergangenheit heraus für die Gegenwart und Zukunft lebendig zu vermitteln und weiterzudenken.
Grundlage für das Welterbe ist die UNESCO-Welterbekonvention von 1972. Sie basiert auf dem Prinzip der internationalen Solidarität und Zusammenarbeit zum Schutz von Kultur- und Naturstätten von außergewöhnlichem universellen Wert.

Verwendete Quelle: https://www.unesco-welterbetag.de

 

 

 

 

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt