Anlässlich eines Seminars des „Fördervereins Stadtbibliothek Flensburg“ für Lesepatinnen und Lesepaten unter dem Motto „Erfolgreich Lesen fördern“ im März 2025 an der Akademie Sankelmark öffnet ein abschließender Vortrag Einblicke in kreative und phantasievolle Zugänge zur Erzähl- , Lese- und Schreibkultur, ausgehend von Gianni Rodaris „Grammatik der Phantasie“:
Kennen Sie das Phantastische Binom?
Binom – das meint in der Mathematik die aus zwei Gliedern bestehende Summe oder Differenz. Aber was kann an einem solchen Begriff aus der strengen Formelsprache phantastisch oder phantasievoll sein?
Und was hat ein solcher Begriff im Kontext von Lese- und Sprachförderung zu suchen?
Der Begriff wurde von dem italienischen Journalisten und Kinderbuchautor Gianni Rodari (1920-1980) geprägt und zwar in seinem Grundlagenwerk von der „Grammatik der Phantasie“ aus den 1970er Jahren.
Auch bei dem Titel „Grammatik der Phantasie“ lässt sich bereits ahnen: Der Autor liebt das Spiel mit ungewöhnlichen Begriffspaaren. Und damit ist auch schon eine Menge über das Wesen des „Phantastischen Binoms“ gesagt: Ein „Phantastisches Binom“ inspiriert dazu, zunächst unverbunden scheinende Begriffe in einen neuen Kontext und Sinnzusammenhang zu stellen und lässt auf diese Weise eine neue, oft erstaunliche Geschichte und Wirklichkeit entstehen.
Gianni Rodari (1920-1980) stellt in seiner kreativen und spielerischen Spracharbeit mit Kindern fest, dass ein ungewöhnlicher Kontrast, eine Lücke (oder mathematisch gesprochen: eine Differenz) zwischen zwei sehr unterschiedlichen Begriffen danach drängt, die Lücke logisch zu füllen. Im lebendigen Austausch mit Kindern erkennt und nutzt er den „Gebrauch der Phantasie mit dem Ziel, eine aktive Beziehung zur Realität herzustellen“. Er glaubt also, dass wir die Phantasie brauchen, um uns die Wirklichkeit zu erschließen.
Und beim lesenden Erschließen von Texten brauchen wir die Phantasie ebenso.
Die Beschäftigung mit Gianni Rodaris „Grammatik der Phantasie“ lässt daher den Schluss zu, dass eine kreativ gestaltende Sprach- und Leseförderung – und dabei ganz besonders die kreativen Impulse, die vom phantastischen Binom ausgehen – weit mehr bedeuten und bewirken als einfach nur ein unterhaltsames Sprachspiel.
Schon im Vorschulalter kann die Herausforderung, zwei kontrastreiche Begriffe durch mündliches Fabulieren in einen Zusammenhang zu bringen, einen bemerkenswerten schöpferischen Denk- und Erfindungsprozess im Gehirn auslösen, bei dem verschiedene Hirnareale in Verbindung zueinander treten: Auf der Suche nach einer Lösung für das scheinbar Unüberbrückbare zwischen zwei einander völlig fremden Begriffen geschieht die Konstruktion einer neuen Wirklichkeit durch Kreativität.
In meiner bald 40jährigen Sprach- und Leseförderpraxis habe ich dieses Phänomen unzählige Male in der Praxis beobachtet, weitergedacht, mit einfließen lassen in verschiedene Methoden zum kreativen Gestalten mit Sprache.
Ich denke besonders an Erlebnisse zurück, die ich mit Kindern draußen in der Natur sammeln konnte. Denn dort in der wild gewachsenen, nicht vorsortierten Umgebung ist die Fülle an kontrastreichen Inspirationen zum Erzählen besonders groß: Da taucht in der knorrigen Struktur der Baumrinde plötzlich ein Gesicht auf. Und unten an den Wurzeln wachsen Pilze, die aussehen wir weiße Hühnereier.
Wie könnte eine Geschichte die beiden eher zufällig entdeckten Phänomene und Assoziationen miteinander verbinden?
Der komplette Vortrag von Susanne Brandt steht hier zum Download bereit: Vortragstext Fantastische Welten