Auf die Stimmen der Geschwister hören. Der Sonnengesang als Vision

Laudato Si – auf unterschiedliche Weise scheint der Sonnengesang des Franz von Assisi aktuell wieder häufiger manche Wege zu kreuzen: anlässlich des runden Geburtstags – etwa 800 Jahre nach Entstehung der mittelalterlichen Poesie vom Lob aller Geschöpfe und Elemente wie auch zum zehnjährigen Jubiläum der gleichnamigen Enzyklika zum Schutz der Erde als unser gemeinsames Haus mit seiner starken ökologischen Botschaft für unsere Zeit.

So oder so – das Bild von einer Geschwisterlichkeit auf Erden, bei dem alle Geschöpfe und Elemente einander als Subjekte begegnen und berühren – ohne dass der Mensch davon einen eigennützigen Herrschaftsanspruch ableiten könnte – ist von radikaler Aktualität angesichts der globalen Krise: Gieriger Raubbau an elementaren Mitgeschöpfen im fein aufeinander abgestimmten Lebenskreislauf und verhängnisvolle Machtfantasien zur gewaltsamen Einflussnahme und Ausbeutung in Lebensräumen weltweit zeichnen ein komplett anderes Bild vom Leben, das uns in eine Katastrophe zu treiben droht.

Kaum vorstellbar, dass uns ein mittelalterlicher Sonnengesang davor retten kann…

Und doch: Franz von Assisi hat in seiner Zeit geradezu visionär erkannt, dass es die Poesie vom Lebendigen ist, die uns durch alle Krisen hindurch das elementare Verbundensein immer wieder neu erfahren lässt: vom kleinsten Sandkorn unter den Füßen bis hinein in den eigenen Tod.

Es lag ihm fern, Theorien niederzuschreiben, sich als Theologe oder Philosoph in seiner Zeit hervorzutun. Sein Sonnengesang vermittelt keine Schöpfungslehre.

Was er mit einer fein ausbalancierten Architektur von der Beziehung zwischen „Schwestern“ und „Brüdern“ zum Klingen bringt, ist…

  • eine unmittelbare sinnliche Freude an der Schöpfung.
    In ihr erkennt er eine eigene ästhetische Qualität, ohne sie zu idealisieren. Es geht ihm nicht um eine Verklärung. Sein Staunen und seine Bewunderung gilt dem Eigenwert der nicht-menschlichen Mitgeschöpfe, wobei er sich hier bewusst auf die Urelemente konzentriert.
  • die Erfahrung einer umfassenden Geschwisterlichkeit.
    Er schaut nicht von außen oder von oben auf Objekte, die ihm unterstellt sind, sondern lässt in jedem Ton die Stimme der Geschöpfe selbst mitklingen – im Sinne einer Beziehung zwischen gleichwertigen Subjekten. Dabei gehören alle Elemente des Universums der gleichen Ordnung an und werden vom göttlichen Ursprung her gedacht.
  • Liebe und Friede als elementare Kräfte der Sehnsucht und Hoffnung.
    Sie können uns aus diesem göttlichen Ursprung zuwachsen und verbinden.
  • ein „Über-sich-hinausweisen“ bis hinein in das Geheimnis des Todes.
    Die unmittelbare und sinnliche Daseinsfreude und die Erfahrung des Sterbens widersprechen einander nicht, sondern sind aufeinander bezogen.

Wie vielfältig das Singen mit Poesie und Musik diesem Sonnengesang seit 800 Jahren weiter nachspürt, zeigt eine Auswahl an Kompositionen.

Die im Jubiläumsjahr 2025 neu vom Bistum Hildesheim in Auftrag gegebenen Hildesheimer Schöpfungslieder“ (Text: Susanne Brandt/Musik: Michael Čulo) sind hier zu finden. Chor- und Orgelsätze sind in Vorbereitung:

https://www.bistum-hildesheim.de/service/angebote/liturgie-und-kirchenmusik/hildesheimer-schoepfungslieder/

Die Lieder werden u.a. im Rahmen der diesjährigen Fastenpredigten zum Klingen kommen.

 

 

Mein Anliegen mit diesem im Jubiläums-Jahr 2025 eröffneten Kapitel Laudato si – Poesie, Ökologie und Musik zum Sonnengesang  bei waldworte.eu ist es, vor allem der kreativen und poetischen Inspiration nachzuspüren, die vom Sonnengesang ausgeht. Die darin besungene Vision eines geschwisterlichen Lebens öffnet einen Freiraum für vielfältige Entfaltungen. Einige davon werden hier in den kommenden Wochen und Monaten vorgestellt.

 

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt