Nature Journaling an besonderen Orten: Was Friedhöfe vom Leben erzählen

Der November ist vorbei. Viele sehnen sich nach Licht am Ende der „traurigen Tage“. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, auch der grauen Novemberzeit erstaunlich lichte Momente abzugewinnen – selbst dort, wo man eher nicht damit rechnet: auf dem Friedhof zum Beispiel!

Als Rückblick auf Erfahrungen, die ich in den vergangenen Wochen dazu (auch) mit Nature Journaling, einer Auseinandersetzung mit der ErdCharta und vielen Begegnungen sammeln konnte, beleuchtet dieser Beitrag die Bedeutung von Friedhöfen als Orte des Lebenskreislaufes – und als kostbare Naturräume mitten in der Stadt, die als solche das ganze Jahr zunehmend anders wahrgenommen, gestaltet und genutzt werden.

Denn tatsächlich rücken aktuell interessante Berichte über Friedhöfe wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit und in das Bewusstsein von Menschen und Initiativen, die sich um das kulturelle Erbe wie auch um die nachhaltige und naturnahe Gestaltung von Städten Gedanken machen. In einer Zeit, da sich ein deutlicher Wandel in der Grabkultur abzeichnet und die Träger der Friedhöfe einerseits über neue Konzepte bei der Pflege und Bewirtschaftung der Flächen wie im Umgang mit einer veränderten Trauer- und Erinnerungskultur nachdenken, kommt der Friedhof als wertvoller Naturraum neu und anders in den Blick.

Besonders alte Friedhöfe sind geprägt von alten Baumbeständen und Alleen, erweisen sich als Lebensräume für zahlreiche Tiere, können im Sinne von Artenvielfalt nach und nach verändert werden und spielen als Ruhe- und Erholungszonen für die Menschen der Stadt eine zunehmend wichtige und wohltuende Rolle, die es zu entdecken gilt.

Vielerorts wird dieser Wandel aktiv gestaltet mit Insektenhotels und Bereichen zum gemeinsamen Gärtnern, mit öffentlichen Leseplätzen, Ausstellungen, Kulturveranstaltungen, Begegnungs- und Kreativangeboten – keineswegs nur für Trauernde!

Einige Links zur Vertiefung:

s.a. www.kulturerbe-friedhof.de

s.a. Beitrag im Deutschlandfunk zum Thema

s.a. Poesieallee auf dem Friedhof

s.a. Children & Nature Network (engl.)

Inspirationen für Nature Journaling

Für mich beinhaltet die Friedhofslandschaft auch viele interessante Impulse für Nature Journaling und Kreatives Schreiben. Die zahlreichen Bänke, die hier die Wege säumen, bieten dafür viele geeignete Plätze zum Schauen, Denken, Deuten.

So habe ich mich z.B. an einem Herbsttag mit einer Baumreihe beschäftigt und darüber nachgedacht, wie doch jeder Baum hier bei aller Ordnung und Ähnlichkeit seine ganz eigene Persönlichkeit behält und über die Einzigartigkeit und Verbundenheit aller Lebewesen – auch der Verstorbenen – nachdenken lässt.

In Rückbesinnung auf dieses Bild habe ich einige Tage später eine Darstellungsform für Nature Journaling erprobt, die diesen Gedanken aufnimmt und dabei das gegenständliche Zeichnen nach der Natur verbindet mit einer gewissen Abstraktion (s. dazu das Titelbild zu diesem Beitrag).

Als Struktur war mir dabei wichtig, einerseits die Eigenständigkeit der einzelnen Stämme einer Baumreihe zu betonen, im Wurzelwerk wie im Kronenbereich aber vom „Zeichnen nach der Natur“ bewusst abzuweichen und eher die Verästelung im Erdreich wie Richtung Himmel als Strukturelement aufzufassen und auszugestalten: Konkret ging es darum, die sich kreuzenden Linien und die dazwischen entstehenden Flächen in den Farben des Herbstes auszumalen und so zu einer spürbar entspannten Malweise zu kommen, die nicht mehr um eine naturgetreue Darstellung bemüht ist, sondern vielmehr den Verbindungen und Kreisläufen des Lebens nachspürt.

Fazit: Friedhöfe sind nachdenkliche, aber keineswegs nur traurige Orte und Bilder für das Kommen und Gehen, für Individualität und Verbundenheit im Leben. Und die hier beschriebene und im Titelbild gezeigte Mischung aus Naturdarstellung und Abstraktion – inspiriert von den gewachsenen Strukturen einer Baumallee – schenkt beim entspannten freien Ausgestalten der Zwischenräume mit Farben genau für diese Wahrnehmung die nötige Ruhe und Vertiefung, die uns im Alltag manchmal fehlt – zu allen Zeiten des Jahres.

Nature Journaling auf Friedhöfen? Das birgt viele besondere Möglichkeiten in sich und kann – wie dieses eine Beispiel zeigt – so gestaltet sein, dass sich die Naturwahrnehmung mit dem meditativen Erleben in besonderer Weise verbindet. Auch durch kreatives Schreiben lässt sich diese Erfahrung begleiten und vertiefen – aber dazu bei anderer Gelegenheit mehr in diesem Blog…

Susanne Brandt

 

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt