Im Dezember: Gesang auf verletzter Erde

Kann Musik etwas verändern? Was helfen Fragen, wenn Antworten in den großen Krisen dieser Zeit oft so unbefriedigend ausfallen? Was geht noch, wenn ein Austausch gar nicht mehr zustande kommt? Was bedeutet das für die gemeinsame Gestaltung weltweit dringender Aufgaben bei der Bewältigung von Konflikten, Klimawandel und Artensterben?

Im Rückblick auf 2023 waren es immer wieder diese und ähnliche Fragen, um die es in unterschiedlichen Kontexten ging. Bei den Projekten, die ich in diesem Jahr beruflich  bzw. freiberuflich mit zu verantworten hatte, habe ich dazu mit Menschen oft das Gespräch gesucht, habe erlebt, was Worte und Musik, was Dialog und Zuhören, was Erzählen und Gesang zwischen Menschen in Bewegung bringen können.

Jüdisch-muslimischer Appell „Wir brauchen einander – gerade jetzt“

Wie gut, immer wieder neu zu erleben, mit dieser Suche und Sehnsucht nicht allein unterwegs zu sein.

So entdeckte ich diese Tage z.B. den jüdisch-muslimischen Appell „Wir brauchen einander – gerade jetzt“:

https://www.klima-allianz.de/mitglieder/unsere-mitglieder/mitglied/juedisch-muslimischer-appell-wir-brauchen-einander-gerade-jetzt

Zu den Mitinitiator*innen und Unterzeichner*innen gehört Alon Wallach, den ich vor Jahren bei einem Workshop des interreligiösen Trimum e.V. kennenlernen konnte und der sich in der Klima-Allianz Deutschland engagiert.

In dem Text heißt es u.a.:

„Die klimatisch verletzlichen Regionen dieser Welt brauchen gerade jetzt eine Weltgesellschaft, die sich nicht in weitere Polarisierungen hineintreiben lässt und den existentiellen Herausforderungen unserer Zeit entschieden begegnet. Das weltweite Bemühen um Klimaschutz und Frieden braucht gerade jetzt möglichst viele gute Beispiele dafür, dass Verständigung und Zusammenhalt stärker sind als das Schüren von Ängsten und Feindseligkeit.“

Ich weiß, dass es bei Trimum e.V. seit Jahren darum geht, besonders durch Musikmachen eine Kultur der Begegnung anzustiften – und zwar ganz bewusst und konsequent im Trialog. Viele gute Beispiele der Verständigung durch Musik lassen sich hier finden:

https://trimum.de/start/was-wir-tun/musik-im-trialog/13907

Blickwechsel – „Baustelle Frieden“ in Hannover

Anfang Dezember war ich als Referentin für einen kurzen Impuls zu Gast beim Lehrkräfteforum der ev.-luth. Landeskirche Hannovers zum Thema „Baustelle Frieden“. Ich hatte die Idee, mit ein paar Gedanken und Erfahrungen einen Bogen zum „Gesang auf verletzter Erde“ zu schlagen:

Fragen und Visionen der Kinder selbst sollten dabei auf jeden Fall einen besondern Platz haben. Aber auch die gerade vor einem Monat verabschiedete UNESCO-Weltbildungsempfehlung, bei der das Bewusstsein für die mehrfache Gefährdung der Welt angesichts von Klimawandel und Artensterben mit der Frage nach Frieden und Gerechtigkeit untrennbar verbunden ist.

Schwer vorstellbar allerdings, wie es gelingen kann, dieses von allen UNESCO-Mitgliedsstaaten unterzeichnete Völkerrecht, das nach 50 Jahren die bisherige Weltbildungsempfehlung von 1974 ersetzt, tatsächlich mit seinen vielfältigen Facetten zur Umsetzung zu bringen.

Neue UNESCO-Weltbildungsempfehlung – Theorie und Wirklichkeit

Im weiteren Verlauf des Lehrkräfteforums wurden in den Workshops zur „Baustelle Frieden“ hier und da immerhin einige mögliche Perspektiven und Ansätze für Veränderungen miteinander diskutiert:

  • Für Lernende fehlen sichere Orte, an denen sie sich selbstbestimmt und kooperativ mit dem beschäftigen können, was sie aktuell für ihre Auseinandersetzung mit der Welt wirklich brauchen. Wie und wo lassen sich solche Räume schaffen?

Oder

  • Trägt nicht ein Schulsystem, das sich vor allem an Defiziten orientiert, bereits eine strukturelle Diskriminierung in sich? Wie also könnte eine grundlegende Umorientierung beginnen?

Oder

  • Wird das emotionale Lernen – also Empathiefähigkeit, die Offenheit für Perspektivwechsel und für das faire Austragen von Konflikten, die sich dabei ergeben können – ausreichend in der Gestaltung von Bildung berücksichtigt?

Wie viele Fragen darüber hinaus in anderen Teilen der Welt zu stellen wären? Wir ahnen es…

Eine Welt ohne Gesang hätte bereits verloren…

Um emotionale Zerreißproben in der Beziehung zur Welt, um die Verletzlichkeit und Verunsicherung im Umgang damit, um das, was in der Begegnung oft so flüchtig und fragil, am Ende aber vielleicht doch tragfähig erscheint – darum geht es auch beim „Gesang auf verletzter Erde“.

Gerettet wird die Welt mit Gesang nicht. Aber eine Welt ohne Gesang – wie und wo auch immer – hätte bereits verloren.

Zumindest wären wir ohne Gesang um eine wichtige Quelle zur emotionalen Auseinandersetzung und Stärkung, Motivation und Bewegung, um eine Chance zur gemeinsamen Ausdruckskraft und Gestaltung ärmer.

Auch die Erd-Charta verweist auf diese Bedeutung, wenn sie unter IV/14 Kunst und Kultur als wichtige Aspekte von Bildung hervorhebt und in der Version für Jugendliche beschreibt: „Wir brauchen Fantasie, um einen Lebensstil zu entwickeln, der umweltfreundlich und friedlich ist. Die kulturelle Vielfalt auf der Erde ist ein Schatz, in jeder Kultur gibt es alte Träume und neue Ideen, die uns weiterbringen.“ 

„Was wird auf dieser Erde wieder heilen? / Was ändert sich, wenn wir ganz anders teilen?“

Das Fragen, das Sehnen und Suchen wach halten – das können Lieder ziemlich gut.

Susanne Brandt

 

Zum Nachlesen und Singen:

Impulsvortrag Gesang auf verletzter Erde

Gesang auf verletzter Erde (Brandt_Braun)

 

 

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt