Wenn Angst in die Enge führt. Ein Kommentar

Ohne EngeDer Begriff Angst – so lässt sich nachlesen – hat sich aus dem indogermanischen anghu für „beengend“ über althochdeutsch angust entwickelt. Er ist verwandt mit dem lateinischen angustus bzw. angustia für „Enge, Beengung, Bedrängnis“. Soweit die sprachlichen Wurzeln. Wie verhängnisvoll Angst und Enge im Leben miteinander verstrickt sein können, wird mir deutlich, je länger ich über das Ergebnis der gestrigen Landtagswahlen nachdenke.

Mit Angst ist in den letzten Monaten vielfach versucht worden, Politik zu machen. Bürgerinnen und Bürger, die sich durch eine veränderte gesellschaftliche Situation verunsichern lassen, sind empfänglich für angstmachende Botschaften. Und Botschafter, die mit einer bewussten Verengung des Demokratieverständnisses und der gesellschaftlichen Vielfalt ihre Macht ausbauen wollen, können über das systematische Schüren und Ausnutzen von Ängsten in der Bevölkerung eine Menge erreichen. Die Rechnung ist aufgegangen. Viele haben sich nun für eine Politik der Enge entschieden.

Gewählt haben sie…

…Enge im Blick auf die Welt, auf  Menschlichkeit und in der Frage nach gemeinsamer Verantwortung

…Enge in der Vorstellung, wie man in Partnerschaft und Familie miteinander leben kann

…Enge in dem Bestreben, sich an eine vermeintliche innere Sicherheit zu klammern

…Enge in der Gestaltung von Bildung, weil für Herzensbildung in engen Herzen wenig Platz bleibt

…Enge in der Einschätzung und im Vertrauen, was Menschen durch Solidarität und Ermutigung miteinander schaffen und teilen können

…Enge im eigennützigen Festhalten an Besitz und vermeintlichen Werten (die als Besitz ängstlich verteidigt statt frei gelebt werden).

…Enge im Demokratieverständnis: Denn gerade all jene, die „nur aus Protest“ ihr Kreuzchen dort gesetzt haben, wo ihre Angst bedient wird, haben die Chance der demokratischen Weitsicht – leichtfertig oder bewusst – verspielt.

Als Reaktion auf die selbstgewählte Verengung von Lebensmöglichkeiten ist die Abwehr von weiter zuwandernden Menschen und die Forderung nach Abschottung durch Grenzschließungen kaum verwunderlich und in der unnachgiebigen Verstrickung von Angst und Enge vermutlich durch Argumente nicht zu entkräften.

Was geht da überhaupt noch?

Offen mit weitem Herzen leben!? Das klingt vielleicht banal und viel zu harmlos angesichts der alarmierenden Verschiebungen in der Parteienlandschaft. Aber in der Konsequenz bedeutet eine solche Lebenshaltung weit mehr als nur naive Freundlichkeit.

  • Sie fordert echte Auseinandersetzung, wenn’s schwierig wird, weil sich ein weites Herz nicht einfach vor unbequemen menschlichen Herausforderungen verschließen kann.
  • Sie öffnet eine erweiterte Perspektive, die über das eigene Wohl und Wesen hinausschauen und von persönlichen Vorteilen auch mal absehen lässt.
  • Sie bietet den vielfältigen Formen der gegenseitigen Zuwendung und Begegnung erstaunliche Spielräume, in denen auch die Vernunft immer ihr menschliches Gesicht wahren kann.
  • Sie regt zu Beweglichkeit und Kreativität im Denken, Fühlen und Tun an, weil ein weites Herz vieles an sich ran lässt (auch die Angst!) – aber zugleich viel Raum bietet, um damit offen und mutig umzugehen.
  • Sie lässt realistisches Augenmaß und großherzige Visionen von einem guten und verantwortungsvollen Miteinander nicht als Gegensätze nebeneinander stehen. Denn erst in der Verbundenheit bekommen bei allen Vorhaben auch unverhoffte Möglichkeiten eine Chance.
  • Mit weitem Herzen wird ein „Wir schaffen das“ nicht als billige Politikerinnen-Floskel gehört und verhöhnt, sondern als wörtlich und konkret gemeinte Ermutigung zur Mitgestaltung für jede und jeden Einzelnen mit allen individuell ganz unterschiedlichen Ideen, Kräften und Initiativen. Denn die sind erstaunlich vielfältig!

Einige Menschen, die sich derzeit an der evangelischen Fastenaktion „7 Wochen ohne…“ beteiligen, tun das bis Ostern (und darüber hinaus) in einem besonderen Bewusstsein für ein weites Herz und ein Leben ohne Enge. Da hatten die Initiatoren der Aktion offenbar ein gutes Gespür, als sie schon vor vielen Monaten die Entscheidung für dieses nun umso wichtiger gewordene Anliegen getroffen – oder der Weitsicht ihrer Herzen vertraut haben.

Impulse (nicht nur) für 7 Wochen: http://www.7-wochen-ohne.de/content/der-weg-durch-die-sieben-wochen

Susanne Brandt, im März 2016

 

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt