Pfingsten in Leuven: Schwebende Klänge & schwere Brocken

Pfingsten geht es um ein Hörwunder – so lese und verstehe ich es bei der Theologin Sarah Vecera. Menschen erleben, wie verschiedene Stimmen Gehör finden in einer Gemeinschaft, die von Vielfalt geprägt ist. Verständigung in der Mehrsprachigkeit – das ist hier das Erstaunliche.

Dabei wirkt sich gerade das Zuhören in besonderer Weise auf Beziehungen aus: Nicht die eigene Rede und der Anspruch auf Deutungshoheit sind der Schlüssel. Vielmehr gehören Zweifel, Irrtum, Fragen und immer wieder ein ehrliches „Ich-weiß-nicht“ ganz menschlich mit in diesen Verständigungsprozess hinein, machen verletzlich und zugleich sensibler füreinander. 

Die Pfingstgeschichte endet nicht glatt und geschlossen. Manches scheint noch offen, gemischte Gefühle bleiben, neue Konflikte entstehen, einfache Lösungen versagen. So ist das, wenn die Geistkraft mit ins Spiel kommt.

Und das kennen wir – gerade aktuell – nur allzu gut, persönlich wie weltweit.

600 Jahre Universität Leuven – ein Fest der Vielstimmigkeit

Bei einem Pfingstaufenthalt im belgischen Leuven konnte ich in diesem Jahr etwas davon auf unterschiedlichen Wegen erkunden. Im Rahmen vielfältiger Inspirationen anlässlich der 600-Jahr-Feier der Universität Leuven lassen sich dort aktuell überall in der Stadt Kunststationen entdecken, die sich mit der Frage der Verständigung und Verbundenheit verschiedener Disziplinen und Denkrichtungen auseinandersetzen:

„And so Change comes in Waves“ lautet ein Motto dazu.

Lauschen verbindet

Und dort, wo das genaue Hinhören im Mittelpunkt steht, heißt die Einladung: „Hear here!“ – wie z.B. beim Klang ganz verschiedener Glocken, aufgehängt unter freiem Himmel in einem Beziehungsnetz aus Fäden. Ein Windhauch – und die Klänge mischen sich zu einem feinen Gesamtklang aus vielen Einzeltönen.

Ganz anders wiederum am Abend das Konzert mit Gesängen nach alten Quellen in der Kirche des großen Beginenhofes: viele Stimmen spielen mit einem kunstvollen Wechsel zwischen Einstimmigkeit und Polyphonie. Dazu erzählen Filmsequenzen von der Lebensvielfalt im Beginenhof zu Brügge heute. Ein Windhauch? Hier würde ich eher an Geistkraft denken.

Und schließlich: Ein kleines Kinderbuchfestival mit Lesungen im Freien durch belgische Autorinnen und Autoren wie z.B. Isabelle Gielen rundet die Vielfalt der Hörerlebnisse in Leuven ab. Erfreulich viele Familien mit ihren Kindern sind als Gäste gekommen und lauschen. Ich auch – wohl wissend, dass mein Verstehen der unvertrauten Sprache Grenzen hat. Aber einiges erschließt sich durch genaues Zuhören dann doch.

Das Schwere als Quelle des Staunens

Das gilt in ähnlicher Weise für das genaue Betrachten, das zum Erschließen einer Freiluft-Installationen in der Stadt beiträgt: Die Künstlerin Alicja Kwade hat sich hier von jenem Geheimnis inspirieren lassen, das an der Wurzel der Wissenschaft liegt. Das Gewicht des (noch) nicht greifbaren Wissens wird von ihr als ein Stein dargestellt. Das Geheimnis ist wie eine Mauer, vor der man steht, aber gleichzeitig ist es eine Quelle des Staunens und die treibende Kraft hinter der wissenschaftlichen Forschung.

Ein Kreis von Stühlen trägt den Stein. Kwade hat die Stühle aus verschiedenen Ecken der Universität gesammelt. Sie symbolisieren die verschiedenen Bereiche der vielfältigen Universitätsgemeinschaft. Nur dank der gemeinsamen Bemühungen einer Gruppe von Menschen – von Forschenden und Studierenden bis hin zu Management, Verwaltungspersonal und Hilfskräften – kann die Universität Wissen aufbauen und verbreiten.

Unwissen ruft manchmal Wunder hervor

In der Wissenschaft geht es nicht nur darum, Wissen zu sammeln, sondern auch darum, das anzuerkennen, was wir nicht bzw. noch nicht wissen. Die heutige Gesellschaft ist von so vielen Herausforderungen geprägt, dass „belastende Probleme“ – solche ohne klare Ursache oder Lösung – die Grenzen des menschlichen Wissens und Könnens testen. Gleichzeitig ruft das Unwissen aber auch Wunder hervor, was es zu einem wichtigen Treiber für das Weiterfragen und Staunen macht – und damit immer  auch für mehr Verständigung und Austausch untereinander. 

Ein Stein der Hoffnung also? Vielleicht – ganz bestimmt jedoch eine bemerkenswerte Bildsprache im Kontext von Pfingsten wie in der üppigen Natur, die diesen Ort ebenso prägt.

Das Wunder braucht die Offenheit einer Landschaft. Denn hier lassen sich Geschichten vom Hören und Staunen in der Verschiedenheit besonders gut weiterdenken – wer weiß wohin.

Susanne Brandt

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt