Natur als “guten Ort” erleben: Erfahrungen reifen lassen und diverse Zugänge öffnen

Wer mit Menschen – Kindern wie Erwachsenen – in die Natur geht, um miteinander Erfahrungen zu sammeln und zu teilen, tut das vielleicht mit verschiedenen ökologischen oder therapeutischen Zielsetzungen bzw. nach einer naturpädagogischen Konzeption. Dabei ist der Bogen, der sich von der klassischen Umweltbildung bis hin zum Waldbaden spannen lässt, weit. Darunter versammelt sich eine Vielzahl von Ansätzen, Prinzipien und Methoden für verschiedene Zielgruppen. Auch die hier bei “waldworte.eu” immer wieder beschriebenen Bausteine aus dem Schnittbereich von Kultureller Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung orientieren sich an einem Leitbild und pädagogischen Konzept, erleben auf dieser Basis aber eine permanente Weiterentwicklung und Reflexion unter Berücksichtigung neuer Erfahrungen wie wissenschaftlicher Forschungen, die dazu inspirieren, mit der Natur “ins Gespräch zu kommen”.

Aktuelle Anregungen gehen dabei z.B. von der naturpädagogischen Konzeption für “Naturerfahrungen mit ‘bildungsbenachteiligten’ Kindern und Jugendlichen” aus, wie sie als Modellprojekt (Ulrich Gebhard, Yasmin Goudarzi, Torsten Hoke) in Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg und dem Wälderhaus der SDW Hamburg in Forschung und Praxis entwickelt worden ist. Dabei ist die im Forschungsauftrag benannte “Bildungsbenachteiligung” hier nicht separierend und defizitär gemeint, sondern vielmehr in einem gesamtgesellschaftlichen Sinne, bei dem Umweltgerechtigkeit, Partizipation und Vielfalt mit besonderem Blick auf das “gute Leben” (im sozialethischen Sinne) stärker als bisher in den naturpädagogischen Blick rücken.

Kurz gesagt: Grundsätzlich sind die hier erarbeiteten Prinzipien des Konzepts für die Arbeit mit diversen Zielgruppen relevant und können mit verschiedenen Konkretisierungen und Methoden verbunden werden – auch und gerade mit Elementen der ebenfalls stark von Freiheit, Kreativität, Partizipation und Demokratiebildung geprägten kulturellen Bildung.

Um welche Prinzipien geht es hier?

  • Prinzip: Glück, Genuss und Gutes Leben = Natur als „Guter Ort“
    – Verzicht auf Moralisierung
    – Gefühl von Freiheit und Beiläufigkeit
  • Prinzip: Reflexion und Nachdenklichkeit
    – Nachdenkgespräche zu Natureindrücken (ohne Bewertungs – und Ergebnisdruck)
  • Prinzip: Partizipation
    freier Zugang und echte Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeit nach eigenen Vorstellungen
  • Prinzip: Natur als Symbolvorrat
    – über Naturerfahrung eigene Selbst- und Weltdeutung entwickeln
    – Vorhandenen Symbolvorrat beleben und den Gedanken und Assoziationen Freiraum schenken

Zu den grundsätzlichen Erkenntnissen aus dem Modellprojekt gehört u.a., dass Naturerfahrungen nicht verordnet werden können, sondern mit Zeit und Muße die Chance bekommen, zu reifen.

Die vier Prinzipien der naturpädagogischen Konzeption führten bei den Teilnehmenden – so die abschließende Auswertung –  sowohl zu einer Vertiefung des konkreten alltäglichen Naturzugangs als auch zu einer Entwicklung demokratischer Fähigkeiten und zusätzlich zu einer Zunahme von Naturverbundenheit und Umweltbewusstsein. Der Weg dahin sieht von Mensch zu Mensch jedoch ganz verschieden aus. Das gilt es auch bei der Gestaltung von Angeboten im Schnittbereich von kultureller Bildung und BNE (durch beziehungsstiftende kreative Zugänge mit verschiedenen Ausdrucks- und Dialogformen) immer wieder mit zu bedenken: im offenen Gespräch mit der Natur eben – und nicht mit vorgefassten Erwartungen, die wir als Menschen an die Natur als “Objekt” und unsere Beziehung zu ihr stellen.

Wir begegnen immer auch ihrer Eigensinnigkeit als Subjekt – und können eine Beziehung dazu finden, ins Gespräch kommen, uns “ansprechen” und inspirieren lassen von dem darin wohnenden Symbolvorrat. Gut so!
Das allein kann die Welt nicht vor ihrer komplexen Gefährdung retten – wohl aber eine emotionale Bindung ermöglichen, mit der sich die Beziehung zum Lebendigen wie das Empfinden und Durchleben von krisenhaften Entwicklungen vielleicht vertrauensvoller und “begründeter” wahrnehmen, verändern und mitgestalten lässt.

Anregungen für die Praxis

Konkret auf die hier bei  waldworte.eu beschriebenen und auch für viele Bibliotheken und kulturelle Bildungsorte relevanten Praxisfelder übertragen, heißt das: Wie ließe sich z.B. ein Nature Journaling Angebot, das Erfinden und Erzählen von Wildwuchsgeschichten oder das Kreative Schreiben von Freiluftpoesie einbetten in eine spielerische und immer wieder anders sich entwickelnde Erfahrungszeit im Park oder im Wald, bei der die Teilnehmenden – wie im kreativen Prozess der Gestaltung generell – zunächst eigene Zugänge und Wahrnehmungen mit dem Naturraum sammeln können?

Drei Beispiel für mögliche Einstimmungen im Freien:

  • Beim freien Spazieren jeweils “für sich” durch die Landschaft (etwa 5 Minuten in Hörweite) wirken verschiedene Eindrücke auf die Teilnehmenden ein. Welches Wort kommt ihnen dabei in den Sinn? Wir teilen die “Wort-Fundstücke” anschließend im Kreis (ohne Kommentierung!) und nehmen davon vielleicht später im kreativen Prozess etwas auf…
  • Jeder und jede sucht sich in der Umgebung einen “Lieblingsplatz” und gestaltet diesen mit Fundstücken aus der Umgebung nach eigenen Vorstellungen. Ein gemeinsamer Spaziergang führt anschließend an den Orten vorbei. (ca. 10-15 Minuten)
  • Jeder und jede hält beim Umherwandern Ausschau nach einem interessanten Baum, zu dem sich ein Steckbrief, eine Geschichte, eine Lebensbeschreibung fantasievoll und kreativ entwickeln lässt. Anschließend stellen wir einander “unsere” Baumgeschichten vor…(ca. 10-15 Minuten)

Bei all diesen Übungen folgen die Teilnehmenden ihrem eigenen Tempo, finden eigene Perspektiven und Ausdrucksweisen und lernen im Austausch dazu andere Perspektiven kennen. Richtungsweisend sind weder Bewertungsmaßstäbe noch Moralisierung und Wissenserwartungen. Das Entdecken und Beschreiben liegt ganz im Ermessen der einzelnen Personen – wie das sich vielleicht anschließende Zeichnen oder sprachliche Verdichten auch. Nach dem Prinzip der Beiläufigkeit können jedoch im Austausch dazu durchaus ökologische und biologische Fragen zur Sprache kommen und miteinander diskutiert werden.

Quelle für weitere Spielanregungen: http://waldmeister.hausdeswaldes.de/show/start

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt