Mit Informationen und Aufklärung mehr Einsicht und Umdenken bei Konsum, Mobilität und Energiewende erreichen? Mit Demokratiebildung und Medienpädagogik Fakenews entzaubern? Der Bedarf scheint groß und die Frage, was für wahr gehalten wird, wie sich die vermeintliche Wahrheit identifizieren lässt, ob und wie sich dadurch Entscheidungen und Empathie im Zusammenleben und in der Beziehung zur Mitwelt verändern, durchzieht alle Bildungsbereiche – auch im Kontext von Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Welche Rolle spielt dabei Storytelling?
Inspiriert durch einen interdisziplinären Austausch ist folgendes Gedanken-Protokoll entstanden – zum Weiterdenken….
Ausgangsthese und Impulse zur Diskussion: Was ist und was bewirkt Wahrheit?
Freier Zugang zu Informationen allein reicht offenbar nicht, um Menschen zu bewegen und zu überzeugen, die eigene Haltung und Einstellung faktenbasiert und begründet zu überdenken und zu verändern, auch wenn es dafür viele „vernünftige“ und überprüfbare Argumente gibt. Geschichten dagegen scheinen sehr viel tiefer auf das Empfinden, Weiterdenken und Ausdrücken von Haltung Einfluss zu nehmen. Medial wird damit in vielen Varianten gespielt.
Gleichzeitig werden Geschichten/Märchen und Wahrheit oft als Gegensätze bewertet und dargestellt („Erzähl mir kein Märchen!“ im Sinne von „Erzähle mir nur, was wahr ist“).
Das aber wird der Vielschichtigkeit, Wahrheit und Wirkungsweise von Erzählungen nicht gerecht. Denn es geht hier weniger um ein Richtig oder Falsch, sondern vielmehr um die Unterscheidung von faktischer und ethischer Wahrheit bzw. Weisheit als unterschiedliche Möglichkeiten und Wege, sich zu verständigen und zu vergewissern – oder auch manipuliert zu werden.
Was könnte vor einer solchen missbräuchlichen Manipulation und Täuschung (auf beiden Wegen) schützen?
Zwei Möglichkeiten:
- durchschauen, wie Geschichten bzw. Faktenchecks in ihrer jeweiligen Ausprägung funktionieren
- Erfahrungen sammeln mit der Entwicklung von eigenen Geschichten bzw. Recherchen
Vertiefung: Wovon reden wir, wenn wir von Geschichten reden?
Geschichten sind…
- Anteil der Menschheitsgeschichte
- geprägt von eigenen Lebenserfahrungen
- Variationen von kulturellen Überlieferungen und Mythen, die weitererzählt und verändert werden
- wesentlich für das Menschsein
Geschichten können…
- erklären
- vereinfachen
- Zusammenhänge veranschaulichen
- ethische Fragen anstoßen
- Utopien und Visionen beschreiben
- Sinn und Struktur schenken
- Selbstfindung begleiten
- Perspektivwechsel und Empathie anregen
- Distanz herstellen, um Belastendes anzuschauen
- Nähe herstellen, um sich einer Verbundenheit bewusst zu werden
- einen geschützten Raum für Emotionen und biografische Erfahrungen bieten
- kleine Welten schaffen, in denen sich die großen Fragen der Welt spiegeln
- heilsame Wirkung entfalten
- ästhetisch, poetisch und humorvoll Freude wecken
Geschichten funktionieren…
- durch eine Mischung aus vertrauten und überraschenden Elementen und Wendungen
- durch sympathische Charaktere, mit denen man sich identifizieren bzw. an ihnen orientieren mag
- durch interessante Fragen und Lösungen im Handlungsverlauf, die zum Weiterdenken anregen
- durch Spannung, Bilder, Poesie und Humor
Persönliches Fazit zum Einsatz von Geschichten bei Kindern im Kontext von Bildung für Nachhaltige Entwicklung und Ethik
Kinder setzen beim Umgang und Erzählen von Geschichten oft intuitiv ihren eigenen Wertekompass ein. Sie brauchen zum Wahrnehmen, Hören, Lesen und Erfinden eine vertrauensvolle und inspirierende Atmosphäre, in der sich der ethische Wahrheits- bzw. Weisheitsgehalt von Geschichten mit den Ideen, Vorstellungen und Bildern der Kinder verbinden und ausdrücken kann. Bereits jüngere Kinder spüren und nutzen diese besondere Wirkkraft beim Erzählen und Fabulieren. Eine gezielte Steuerung durch eine vorgegebene Aufgabenstellung hin zu einer gewollten „Botschaft“ sollte gut überlegt und – wenn überhaupt – spielerisch und unaufdringlich mit eingesponnen werden, damit die eigene Intuition und Kreativität der Kinder davon nicht verstellt wird. Frei entstandene bzw. aufgenommene Geschichten lassen sich jedoch nachträglich so ins Gespräch bringen, dass dabei auch die ethischen Aspekte in den Austausch kommen (vgl. Philosophieren mit Kindern). Eine solche schöpferische und dialogische Erfahrung stärkt zugleich das Gefühl für die Kraft wie für die Souveränität im Umgang mit Geschichten, was dazu beitragen kann, auch manipulative Absichten leichter zu durchschauen.
Mehr dazu auch hier:
https://waldworte.eu/category/erzaehlkultur/wildwuchsgeschichten/