Impressionen aus Polen III: Vom langen Weg des Friedens

Neben den Naturimpressionen entwickelte sich auf dieser Reise ein weiteres Thema zur Grundmelodie im Erleben dieser Region mit ihrer wechselvollen Geschichte und geographischen Lage: Frieden mit seiner immer wieder spürbaren Gefährdung und Verletzlichkeit.

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine kommt einem hier näher. Und Menschen aus der Ukraine erzählen davon…Mir sind die Gespräche lange nachgegangen: Es ist nicht einfach, die Entwicklung verschiedener Szenarien für eine mögliche Waffenruhe überhaupt als Option anzusprechen. Was bedeutet das für die Nachbarländer und andere europäische Staaten? Was bedeuten die andauernden Kämpfe für die Familien in der Ukraine? Wie lange wird es dauern, bis die Schäden an Umwelt und Klima heilen, die durch Militäreinsätze und Rüstungsindustrie regional und global entstehen? Wohin mit der Friedenssehnsucht bei der offenbar so großen Dominanz der Kriegsberichte? 

Begleitet hat mich das Thema Krieg und Frieden auch in seiner historischen Dimension: Denn wenn man über die wechselvolle Geschichte des Nordostens im heutigen Polen wie der angrenzenden Gebiete nachdenkt bzw. in Ausstellungen dafür sensibilisiert wird, zeigt sich diese als eine Kette von Grenzverschiebungen, Brüchen und Neuordnungen, Unterdrückung, Aufbruch und Reformen: vom Dreißigjährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden über den Wiener Kongress, den Friedensvertrag von Versailles, die Zeit des Nazi-Terrors bis hin zur Freiheitsbewegung der 1980er Jahre…

Friedenssehnsucht in Liedern

Immer schon wurden gerade in den Künsten, in der Dichtung und Musik Ausdrucksformen für jene Friedenssehnsucht gesucht und gefunden, die all diese Zeiten in unterschiedlichen Sprachen und Bildern durchzieht.

Georg Weissel zum Beispiel, evangelischer Theologe aus der Region (1590 in Ostpreußen geboren und 1635 in Königsberg gestorben) dichtete Kirchenlieder, darunter „Macht hoch die Tür“. Er singt in seinem berühmten Adventslied von Sanftmütigkeit und Barmherzigkeit, die er  einziehen sieht, um den herrschenden Machtverhältnisse eine andere Haltung entgegenzusetzen. 

Und aus der gleichen Zeit stammt auch sein Lied „Such wer da will ein ander Ziel“, in einer ausdrucksstarken Vertonung von Johann Stobäus (geb. 1580 in Graudenz/Pommern, gest. 1646 in Königsberg)

Seine Melodie hat mit ihrem markanten Quint- und Oktavsprung zu Beginn und ihrem synkopisch-tänzerischen Charakter – so möchte man meinen – eine „trotzig-frohe“ Ausdruckskraft in der beschriebenen Hinwendung zu Christus als Halt in der Bedrängnis und Quelle der Hoffnung.

Und im 21. Jahrhundert? Welchen Ausdruck findet unsere Verunsicherung angesichts von Krisen und Kriegen? Und welche Rolle spielen dabei spirituelle Zugänge und Glaubenserfahrungen, heute eher mit Verbundenheit und Respekt als in Abgrenzung zu anderen Konfessionen und Religionen? 

Melodien, die durch Jahrhunderte tragen

Unser Singen und Erzählen vom Glauben hat sich über die Jahrhunderte deutlich verändert, auch wenn wir uns weiterhin im Engagement für Frieden und Bewahrung der Schöpfung z.T. auf gemeinsame alte Quellen beziehen. Das Motiv der Suche bewegt sich heute durch viele Zweifel und Ungewissheiten hindurch, bleibt eher ein aufmerksames bzw. kritisches Fragen als ein großes Versprechen. Unsere Lieder und Geschichten, Gebete und Glaubensvorstellungen sind von anderen Bildern, Worten und auch Widerständen geprägt als einst im 17. Jahrhundert. Und doch spannen die alten Choräle einen Bogen über die Jahrhunderte, haben alle wechselvollen Zeiten überstanden, Menschen immer wieder Ermutigung und Vergewisserung geschenkt.

Dabei gilt: Damals wie heute sind Lieder nicht dazu da, konkrete Lösungen und einfache Antworten vorzugeben. Vielmehr geht von ihnen eine Inspiration zum Weiterdenken aus, die über das individuelle Empfinden hinaus alle erreichen kann, die sich singend und hörend darauf einlassen mögen. Sie beschreiben, „was das Herz bewegt“:  Sorgen, Hoffnungen und Visionen – mit Worten und Tönen in ihrer jeweiligen Zeit. Und vielleicht weit darüber hinaus…

So könnte auch eine Choralmelodie aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs diese Erfahrungen angesichts der aktuellen Konflikte weitertragen und beim gemeinsamen Singen zugleich neu und anders zum Klingen bringen – z.B. mit einem neuen Text Vom langen Weg des Friedens?

Oder ganz anders?

Wie lautet dein Friedenschoral für heute und morgen?

 

Beispiele für Friedensinitiativen zum Weiterlesen: 

 

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt