Von Neumünster geht‘s mit direkter Bahnverbindung in die Schweiz. Auch deswegen habe ich – im Blick auf die weite Anreise – Ja gesagt zu einer Einladung dorthin. Vor allem aber, weil ich mich dort auf neue Entdeckungen und gemeinsame Seminar-Erfahrungen freue:
Was bedeutet „Vor der Haustür die Welt“ für die Gestaltung von Bibliotheks- und Kulturarbeit hier wie anderswo? Wie lassen sich „Erzählwege“ mit ihren vielen Varianten an verschiedenen Orten umsetzen? Warum ist Teilhabe und Kommunikation mit verschiedenen Initiativen dabei so wichtig? Was verändert sich, wenn man mit sensibilisierter Wahrnehmung und kreativen Ausdrucksmöglichkeiten ins Freie geht, die Verbindung zur Mitwelt sucht, auch und gerade außerhalb der gewohnten Räume? Und was hat das alles mit dem zu tun, was wir „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ nennen?
Um dazu mit Kolleginnen und Kollegen aus der Schweiz – inspiriert von Ideen aus der Praxis in Schleswig-Holstein – in einen guten Austausch zu kommen, gilt es zunächst, sich selbst ein bisschen vertraut zu machen mit der Umgebung in Basel und Aarau, mit Sprachklang, Natur und Atmosphäre, mit dem, was vielleicht schon da ist oder hier ganz neu und anders erprobt werden könnte. Alles das lässt sich aus der Ferne kaum beantworten, kann auch in zwei bis drei Tagen vorab nur als ein erster Eindruck wahrgenommen werden. Aber immerhin: Was offen bleibt, lässt sich mitnehmen in den gemeinsamen Lernprozess…
Impression I: Von Grenzen, Sprachen, Flussläufen…und „Sehnsucht nach Welt“
Ein erster Eindruck: Quer durch Basel – der Rhein. Die Augen staunen: kristallklares Wasser. Noch nicht weit von seiner Quelle entfernt schon ein breiter Strom, der die beiden Altstadtteile trennt. Brücken und kleine Fähren sorgen für Verbindung. Hört man den Menschen zu, die hier an lauschigen Uferplätzen den goldenen Herbst genießen, nimmt man viele Sprachen wahr. In der Schweiz liegen Quelle und Lauf bis zum Knick des international bedeutsamen Flusses – aber keine Meeresküste mit weitem Horizont. Nachbarländer mit ihren verschiedenen Sprachen prägen das kleine Land. Die Lage also: mittendrin – auch in den globalen Krisen. Enge und Offenheit, Vielfalt und Eigensinn, Stabilität und Wandel wirken sich aus, sind Teil von tiefgreifenden globalen Herausforderungen. Ganz aktuell und immer schon in der langen Geschichte.
Max Frisch erinnerte sich einst mit folgenden Notizen an Basel:
„Eine Stunde droben beim Münster; die Vögel auf den einsamen Bänken, die kühle und vornehme Stille des alten Platzes, dessen Fassaden in einer dünnen Morgensonne stehen; das plötzliche Gefühl von fremder Stadt; der Rhein, wie er in silbernem Bogen hinauszieht, die Brücken, die Schlote im Dunst, die beglückende. Ahnung von flandrischem Himmel …Wie klein unser Land ist. Unsere Sehnsucht nach Welt, unser Verlangen nach den grossen, flachen Horizonten, nach Masten und Molen, nach Gras auf den Dünen, nach spiegelnden Grachten, nach Wolken über dem offenen Meer; unser Verlangen nach Wasser, das uns verbindet mit allen Küsten dieser Erde; unser Heimweh nach der Fremde.“
Impression II: Die Bibliothek geht zu den Menschen…
Mitten in der historischen Innenstadt von Basel zwischen Münster und Markt: das stille Tee-Café „Moment“ – zugleich ausgewiesen als eine Zweigstelle der Stadtbibliothek. Das Konzept: Die Bibliothek kommt zu den Menschen an verschiedene Begegnungspunkte in der Stadt, dort, wo Interesse an besonderen Themen zu erwarten ist. Theaterliteratur im Theaterfoyer, Spirituelles und Philosophisches im Stillen Café, jeweils handverlesen als kleiner feiner Themenraum am besonderen Ort. Dabei geht es nicht vorrangig um Ausleihsteigerung. Solche Themenräume sind Öffentlichkeitsarbeit im besten Sinne: überraschende Begegnungen mit dem Angebot der Bibliothek, die sich im Alltag ergeben und über ein besonderes Interesse nun vielleicht auch die erreichen, die sonst nicht die Hauptstelle der Stadtbibliothek aufsuchen.
Impression III: Alles lebt…
Die aktuelle Ausstellung im Baseler Museum der Kulturen könnte passender zur Einstimmung in all die Fragen um Weltwahrnehmung und Naturerfahrung, Ruhe und Bewegung, Enge und Weite kaum sein: „Alles lebt – mehr als menschliche Welten“. Dazu heißt es in der Ankündigung:
„Die planetare Krise gefährdet die Bewohnbarkeit der Erde. Sie veranlasst, Sichtweisen, Netzwerke und Interaktionen von menschlichen und nichtmenschlichen Akteur*innen neu zu denken. Wie nehmen Menschen ihre Mitwelt wahr? Welche Beziehungen haben sie zur Erde, zu anderen Wesen und zu Dingen? Welche Werte leiten ihre Handlungen und das Zusammenleben? Auf der Suche nach einer gemeinsamen Zukunft und alternativen Formen des Miteinander inspirieren lokale Perspektiven, Aktionen und Ideen.“
Auch wenn Menschen speziell aus arktischen Ländern in dieser Ausstellung nicht vorkommen – viele der dort entfalteten Fragestellungen erinnern mich an unser noch junges Projekt „Erzählen im Norden“, bei dem wir uns in diesem Jahr bei Gesprächsrunden in verschiedenen Bibliotheken mit eben den oben genannten Fragen aus einer uns nicht so vertrauten Perspektive und Erzählkultur in der Beziehung zur Mitwelt befasst und dabei neu und anders über unsere eigenes Denken und Erzählen von „mehr als menschlichen Welten“ nachgedacht und gelernt haben.
Bei dem, was am Seminartag in Aarau Thema sein wird, spielen diese und viele andere Blickwinkel und Erfahrungen eine Rolle. Wir werden erzählen. Welt wahrnehmen. Ausblicke suchen. Ins Freie gehen…