Früh morgens, wenn viele noch schlafen und der Sonnenaufgang kurz bevor steht, ist ihre Stunde: Vögel verwandeln den Garten in einen Konzertsaal. Ich liege wach und lausche durch das halb geöffnete Fenster in die Dämmerung – dankbar, dass diese Morgenstunde so reich an Tönen ist. Wie beklemmend wäre es, früh zu erwachen und vergeblich auf das Gezwitscher zu warten. Die gespenstische Stille des Artensterbens möchte ich mir nicht ausmalen. Und das, was ich mit unserem kleinen Garten dazu beitragen kann, dass Vögel sich hier wohl fühlen und ernähren können, soll hier auch weiterhin die Gestaltung, Pflanzenauswahl und Verbundenheit mit diesem Ort bestimmen:
„Wenn Sie einen lebendigen Garten haben wollen, dann fangen Sie bitte nicht an, Ordnung zu machen. Haben Sie Mut zur Wildnis! Lassen Sie die Brennnesseln einfach stehen, pflanzen Sie einheimische Beerensträucher, setzten Sie sich auf einen Stuhl und schauen zu!“
Hans-Joachim Fünfstück, Landesbund für Vogelschutz
Vogelorte sind Lebensorte
Vögel sind Repräsentanten bestimmter Lebensräume: Gärten und Hecken, Wiesen und Felder, Parks und Wälder, Küsten und Uferzonen. Durch die Spezialisierung im Laufe der Entwicklungsgeschichte stehen bestimmte Arten immer für ganz spezifische Landschaften beziehungsweise Biotope. Über ihre Häufigkeit und ihren Bruterfolg geben sie wertvolle Aussagen zur Qualität dieser Lebensräume. Sie sind damit Bioindikatoren für den Zustand ihrer und unserer Umwelt.
Durch schnelle Reaktionen auf Umwelteinflüsse zeigen Vögel Veränderungen auch kurzfristig an. Daher beruht der „Nachhaltigkeitsindikator für die Artenvielfalt“ der Bundesrepublik Deutschland auch auf Daten aus dem Vogelmonitoring. Vogelschutz und Lebensraumschutz hängen also eng zusammen.
Mit persönlichen Erinnerungen aus rund 50 Jahren sind für mich Rückgänge bei vertrauten Vogelarten heute besonders deutlich spürbar: Kiebitze und Lerchen gehörten in großen Scharen zu den Wiesenerlebnissen meiner Kindheit. Ich konnte Bekassinen und Rohrdommeln mit den Ohren ausfindig machen und hatte ein gewisses Gespür dafür, in welchen Sumpflandschaften mit welchen Vogelarten zu rechnen ist.
Moore, Küsten, Knicklandschaften
Aber eben diese Wiesen- , Feld- und Sumpflandschaften haben seither vielerorts erhebliche Eingriffe und Veränderungen erfahren – mit negativen Folgen für viele Arten. Die Landwirtschaft und Pestizideinsätze spielen dabei eine große Rolle – auch wenn es darum geht, hier eine wirksame Wende zu mehr Biotop- und damit Artenschutz konsequent und nachhaltig umzusetzen.
In einigen Bereichen hat ein Umdenken bereits begonnen, etwa bei der Wiedervernässung von Mooren, bei der Ausweitung von Schutzgebieten im Küstenbereich oder bei UNESCO-Entscheidungen für Immaterielles Kulturerbe, zu denen z.B. die Pflege von Knicklandschaften und Streuobstwiesen gehören.
Ob so das Artensterben aufgehalten werden kann? Alle genannten Maßnahmen können zu wirksamen Bausteinen im komplexen Zusammenspiel der Ökosysteme werden. Sie helfen – und sind zugleich auf weitere Maßnahmen, die in dieses Netzwerk hineinwirken, angewiesen. Wie überall gilt es auch hier, Prozesse interdisziplinär zu gestalten.
Vogelworte für Lebensorte
Was ich im eigenen Garten, durch Ernährung und Einkauf landwirtschaftlicher Produkte aus der Region, durch zivilgesellschaftliches Engagement oder durch demokratische Möglichkeiten bei politischen Entscheidungen mit beeinflussen kann, will ich gern auch weiterhin versuchen. Und auch durch Sprache, die poetisch von einigen der selten gewordenen Mitgeschöpfen erzählt:
Der Zyklus Vogel(w)orte I-VII ist all jenen Vogelarten gewidmet, die noch da sind (wenn auch in deutlich kleinerer Zahl), die bald ganz verschwinden könnten, aber auch die Chance hätten, sich wieder stärker auszubreiten.
Die Gedichte sind kein Abgesang, eher kleine Lebenslieder im Klang und Rhythmus der Zeilen, die – in der Form von Akrosticha – die Namen der Vögel als Anfangsbuchstaben ganz elementar in sich tragen, ihnen so förmlich auf den Leib geschrieben sind.
Vielleicht kann eine solche Verbundenheit helfen, immer wieder die richtigen Entscheidungen zu treffen – vom kleinen Garten bis hin zu den großen Strategien für Landwirtschaft, Natur- und Küstenschutz.
Susanne Brandt
Der Zyklus zum Download als pdf: Zyklus Vogel(w)orte I-VII
Kreativ-Tipp:
Vielleicht möchtest auch du ein Lebenslied für eine bedrohte Art schreiben? Viele weitere Akrosticha (= die Buchstaben am Zeilenanfang ergeben von oben nach unten den Namen) für mehr Artenvielfalt sind möglich!
Auch interessant zum Thema: https://waldworte.eu/2023/03/20/zum-welttag-der-poesie-anders-dichten-und-denken-im-freien/
Ein Beitrag zum „Tag der Erde“ im April 2023