„Und du so?“ Jeder und jede kennt sie – diese Smalltalk-Situationen am Rande von Festen und Veranstaltungen, bei denen das Nebenbei-Gespräch irgendwann auch auf berufliche oder anders motivierte Tätigkeiten kommt. Weites Ausholen ist da eher nicht gefragt.
Also Schlagworte: die Firma, die Branche – die Reaktionen zu „Bibliothek“ oder „Kinderliteratur“ sind bekannt…Ja, das hat was mit Lesen zu tun…Ergänzend dann noch „was mit Nachhaltigkeit“ ins Gespräch zu bringen, macht die Sache selten einfacher.
Also weg mit den Schlagworten, die – in Buchregal-Längen gesprochen – Themen für etliche Meter Literatur beinhalten, aber in Kürze selten das auszudrücken vermögen, was einem dabei wirklich am Herzen liegt.
Was und wie also stattdessen davon erzählen? In konkreten Beispielen? Eher mit Verben als mit Substantiven? Was tue ich da eigentlich? Und warum?
Leider fallen einem selten in der Situation selbst die passenden Worte ein – aber ein Anlass zu einer nachträglichen Reflexion sind solche mehr oder weniger gelungenen Gespräche allemal. Ein bisschen nach dem spielerischen „Tabu-Prinzip“: Erzähl doch mal von Bibliotheksarbeit, von Nachhaltigkeit und Kultur oder von Bildung für nachhaltige Entwicklung, (fast) ohne die großen Worte zu benutzen. Erzähle so davon, dass trotzdem – oder gerade auf diese Weise umso besser – verständlich wird, um was es dabei genau geht.
Ein Versuch: mit neuen Worten dem Wesentlichen nachspüren
Dürfte ich für das, was ich tue, eine Berufsbezeichnung neu erfinden, dann kämen gleich mehrere in die engere Wahl:
„Fragenentfalterin“ ist eine davon – weil ich mir im Umgang mit Medien wie bei der Konzeption von Projekten immer überlege, mit welchen Fragen die Menschen an diese Medien oder an dieses Vorhaben herangehen könnten. Und weil keine nachhaltigen Lösungen und Antworten gefunden werden können, ohne dass zunächst eine Frage erkannt und zum Anfang eines Prozesses wird. Diese Fragen brauchen also einen Entfaltungsraum – und Menschen, die sich damit auf ganz unterschiedliche Weise beschäftigen möchten. An einem dritten Ort zum Beispiel, der neben dem Zuhause und dem Arbeitsplatz eine andere Art von Vertrautheit und Begegnung möglich macht.
Was ich als „Fragenentfalterin“ auch lernen und schaffen könnte: mit allen und allem zu rechnen und das Reden und Denken von sogenannten „bildungsfernen“ Kindern und Familien endgültig aus dem Diskurs zur „Arbeit mit Zielgruppen“ zu verbannen.
Denn Kinder fragen einfach gerne, sind von sich aus neugierig und als solche keineswegs „fern“, sondern mitten drin und offen für Entdeckungen und Lernerlebnisse im Alltag – wie und wo auch immer. Was schließlich zur Entfaltung kommt, hängt davon ab, wie offen und bereit ihnen Menschen dabei begegnen, wie ehrlich sie sich auf Gestaltungs- und Gesprächssituationen einzulassen, zu denen Kinder sie mit ihren eigenen Fragen und Vorstellungen herausfordern.
Sich nicht herablassen – sondern aufschwingen
„Fragenentfalterinnen“ sollten selbst neugierig und beweglich genug sein, sich durch die Kinder zu mitunter überraschenden Ideen und Veränderungen inspirieren zu lassen – nicht umgekehrt!
Oder um es mit Worten von Janusz Korczak zu beschreiben:
„Ihr pflegt zu sagen: ‚Der Umgang mit Kindern ist anstrengend.’
Ihr habt recht.
Ihr sagt: ‚Weil wir uns zu ihren Begriffen herablassen müssen.’
Herablassen, hinunterbeugen, uns krümmen, kleinmachen. Ihr irrt.
Nicht das ist es, was uns anstrengt.
Sondern – dass wir uns aufschwingen müssen zu ihren Gefühlen.
Aufschwingen, emporrecken, auf die Zehenspitzen stellen, heranreichen.
Um sie nicht zu verletzen.“
Janusz Korczak: Wenn ich wieder klein bin, S. 135
Es geht also nicht darum, sich mit fertigen Antworten oder Konzepten zu anderen hinunterzubeugen, die vermeintliche „Bildungsferne“ durch eine falsch verstandene Zuwendung zu überbrücken. Der Lernprozess ist immer ein gemeinsamer – denn alle Beteiligten üben sich dabei im visionären Denken und Weiterfragen.
Kreativität durch Irritation und Konfrontation mit dem Unvorhersehbaren wecken
Das gelingt dann besonders gut, wenn Kreativität durch Irritation und Konfrontation mit dem Fremden und Unvorhersehbaren geweckt wird und so vielleicht zu neuen Lösungsansätzen herausfordert.
Nachhaltigkeit – im Kleinen wir im Großen (wenn man überhaupt so unterscheiden will) – kommt nicht ohne diesen gemeinsamen Aufbruch zu einem veränderten Denken aus.
Um das an ein paar Beispielen zu veranschaulichen, wie ich sie in meiner beruflichen Praxis in den letzten Jahren erleben konnte:
Bei den Kinderfragen, die im Rahmen des Projekts „Das weiße Blatt“ einen kreativen Prozess (bis heute) in Gang setzten, ging es genau um dieses gemeinsame Lernen – und setzt sich bis heute im Weiterdenken an vielen Orten und in 60 (!) Sprachen fort.
Auch bei dem Projekt „Baumzauber“ war die Offenheit für Fragen von entscheidender Bedeutung – hier zu entdecken durch die Verbundenheit zur vertrauten Natur in überraschender Konfrontation mit einem „fremden Gegenüber“, das durch eine gestalterische Erfahrung aus der Baumrinde herausgeholt wurde. Erstaunliche Geschichten, Dialoge und Lösungsideen wurden dabei von den Kindern selbst ans Licht gelockt und zur Sprache gebracht.
Und jedes einzelne Blatt bei der Erzählweg-Ausstellung „Auserlesenes“ vermag einen solchen Prozess mit den jeweiligen Fragen und Bildern anzuregen. Da heißt es zum Beispiel: Wohin führt die Reise? Warum machte man sich gemeinsam auf den Weg? Oder: Die Welt steht Kopf! Liegt der Elefant deshalb auf dem Rücken? Was haben die Vögel vor? Und wo ereignet sich das Ganze?
Was das mit Nachhaltigkeit zu tun hat? Oft kommen die Kinder schneller drauf als die Erwachsenen – wenn auch mit anderen Worten und Bildern, mit denen sie ihre Liebe zum Lebendigen und ihre Neugier auf das Kommende beschreiben.
Bei „Stimmen zum Klima“ werden es ebenfalls Bilder sein, die Fragen aufwerfen im Dialog mit kurzen Filmszenen, die neugierig machen auf verschiedene Aspekte zum Klimawandel – und so zum Verändern und Handeln anregen.
Bilder erweitern Deutungsspielräume
Dass ich als „Fragenentfalterin“ dabei so gern mit Kamishibai oder Erzählwegen arbeite, mit gemeinsam entwickelten Wildwuchsgeschichten oder frei erzählten Märchen aus aller Welt, hat Gründe:
Oft bieten Bilder und handliche Geschichten aus der mündlichen Tradition freiere Einstiegschancen und größere Deutungsspielräume als Sachtexte. Wo sie als stehende Bilder – etwa durch einen schönen Rahmen, drinnen wie draußen – die Aufmerksamkeit und Konzentration auf sich ziehen, vielleicht Emotionen anrühren und Phantasien wecken, öffnet sich für das Fragen und Denken, Fabulieren und Erzählen eine weite Tür – vorausgesetzt, alle Beteiligten lassen sich auf diesen Prozess auf Augenhöhe ein, moderieren so viel wie nötig und lassen so viele Bewegungs- und Spielräume wie möglich offen.
Mit geeigneten Büchern – dialogisch ins Gespräch gebracht – geht das natürlich auch. Nochmal Janusz Korczak:
„Jedesmal, wenn du ein Buch fortgelegt hast und beginnst, den Faden eigener Gedanken zu spinnen, hat das Buch seinen beabsichtigten Zweck erreicht.“
Im Kleinen den Bezug zum größeren Rahmen nicht verlieren
Weil alles das nicht allein gelingt, passt zur Auswahl möglicher Tätigkeitsbeschreibungen in diesem Kontext noch ein anderes Wort: „Netzwerkerin“.
Das klingt nun nicht besonders originell und inzwischen reichlich abgedroschen, bleibt aber von großer Bedeutung. Denn nachhaltige Entwicklung geschieht nicht durch die großen Taten Einzelner, sondern durch die vielen kleinen Schritte und Anknüpfungspunkte von vielen – aus und in unterschiedlichen Richtungen.
Dabei kommt es allerdings darauf an, dass Menschen mit ihren vielleicht nur klein anmutenden Beiträgen und Veränderungen den Bezug zum größeren Rahmen bewusst wahrnehmen, ausgestalten und sich als Teil einer Bewegung erleben. Sonst besteht die Gefahr, dass die vielen kleinen guten Ansätze ohne Bezug zu anderen Engagierten und gemeinsamen Zielen versanden oder ins Beliebige abrutschen.
Fragenentfalterin, Netzwerkerin und Ideengestalterin – um noch eine dritte Tätigkeitsbeschreibung ins Spiel zu bringen – taugen also nicht als Einzelkämpferinnen, laufen nicht die Treppen im Elfenbeinturm auf und ab, sondern sind auch „Türöffnerinnen“ auf der horizontalen Ebene – da sie es immer mit Querschnittsaufgaben zwischen verschiedenen Berufsgruppen, Talenten und Generationen zu tun haben.
Querschnittsaufgaben zwischen verschiedenen Berufsgruppen, Talenten und Generationen
Im offiziellen Wortlaut des Deutschen Kulturrats heißt es dazu:
„Nachhaltige Entwicklung ist eine kulturelle Herausforderung. (…) Kunst und Kultur sind prädestiniert für die anstehenden Veränderungsprozesse. (…) Kultureller Wandel heißt, nicht nur den Verlust an Bestehendem in den Blick zu nehmen, sondern mit Mut und Zuversicht Neues zu wagen. (…) Es gilt, eine umfassende Aufbruchsstimmung zu stiften.“
Fragenentfalterinnen, Netzwerker, Ideengestalterinnen und Türöffner an verschiedenen Wirkungsorten verbindet also das gemeinsame Anliegen, dieser Aufbruchsstimmung eine Chance zu geben, um Mut und Zuversicht für Veränderungen bei sich und anderen auch angesichts von bedrückenden Erfahrungen und Sorgen zu wecken. Im Blick auf gemeinsame Ziele – kurz gesagt: auf die Agenda 2030 – geht es bei diesem Anliegen nicht darum, ein Pflichtprogramm abzuarbeiten, sondern eine Leidenschaft für das Leben zu entdecken und auszustrahlen.
Was ich so mache? Ich versuche mit vielen kleinen Schritten im Blick auf diese gemeinsamen Ziele genau das.
Susanne Brandt, im August 2021