Draußen regnet es. Durch das geöffnete Fenster höre ich den Gesang der Vögel. Ab und zu bringt ein Windstoß die Blätter im Apfelbaum zum Flüstern. Vor mir im Zimmer liegen stapelweise Bildkarten, Bücher, Papiere, die in einer reisetauglichen Tasche Platz finden sollen. Morgen geht es erneut auf Seminarreise in den Süden. Und mit dabei sind auch diesmal die Kamishibai-Materialien aus dem Projekt “Das weiße Blatt”, mit denen es immer wieder anders möglich ist, in Menschen die Lust und die Fantasie am Lauschen und Entdecken, Hinschauen und Nachfragen zu wecken. Das Spannende dabei: Mit den einzelnen Bildkarten – in Auswahl vielfältig und individuell zu kombinieren – lassen sich immer wieder andere Geschichten und Bilderbücher verbinden. Und immer wieder entstehen durch das so angeregte Erzählen neue Ideen und Fragen der Kinder…
So auch mit dieser Geschichte:
“Stellt euch ein großes Haus vor. Das Haus hat viele Fenster. In dem Haus wohnen viele Menschen. Wenn die Menschen durch die Fenster nach draußen schauen, dann sehen sie ein Stück von der Welt. Sie sehen die Straße und ein paar Bäume. Sie sehen Autos und Fahrräder. Sie sehen den Himmel und die Wolken. Nach dem Regen sehen sie manchmal große Pfützen auf dem Weg. Und sie sehen natürlich Menschen. Immer wieder andere Menschen.
Sie sehen Dinge, die dort jeden Tag zu sehen sind. Und sie sehen manchmal Dinge, die sie noch nie zuvor gesehen haben. Dann staunen sie. „Na, sowas!“, sagt der eine. Und „Wie sonderbar!“, sagt die andere. Und manchmal auch: „Was hat denn das zu bedeuten?“
Hast du es eben bemerkt? Wenn wir sehen und staunen, dann kommt manchmal eine Frage zur Welt! Manchmal wird ein Fenster in dem großen Haus ganz weit geöffnet. Dann weht ein frischer Wind durchs Zimmer. Die Nase merkt, dass es geregnet hat. Und die Ohren hören den Gesang der Vögel am frühen Morgen. Es gibt sogar Menschen, die am Fenster stehen und die Augen schließen. Glaubt nicht, dass die dann gar nichts sehen! Die sehen nämlich eine ganze Menge! Auch mit geschlossenen Augen:
Vielleicht sehen sie Hunde, die in der Luft fliegen können. Oder ein Auto, das sich mit einem großen Segel fortbewegt. Manchmal helfen die Ohren beim Sehen. Denn manchmal tönt auf dem Balkon nebenan eine schöne Musik aus dem Radio. Die Augen sind geschlossen, aber sie sehen ganz deutlich: tanzende Menschen in bunten Kleidern, die sich zur Musik bewegen. Und schon passiert es wieder! Eine Frage kommt zur Welt: „Können alle Menschen ab und zu so glücklich sein und tanzen?“
An jedem Tag kommen in dem großen Haus neue Fragen zur Welt. Nicht nur bei uns. Auch in anderen Ländern der Erde. In vielen verschiedenen Sprachen! Denn an jedem Tag öffnet sich irgendwo ein Fenster. Die Menschen sehen Bilder. Die Menschen hören die Musik des Lebens – und sie fangen an, nachzudenken über diese Welt und über dieses Leben. Manchmal fällt ihnen sogar eine Geschichte dazu ein. So ist es auch bei uns hier und heute in diesem Haus:
(Im Kamishibai öffnet sich hier nun das „Fenster“ für das erste Bild mit der ersten Frage. Dazu können die Kinder ihre eigenen Gedanken und Geschichten erzählen. Und weitere Fragen und Bilder können folgen…Zum Abschluss dieser Gesprächsphase zum Erzählen und Weiterfragen, wird die Geschichte mit folgendem Satz zum Ende geführt. Danach schließt sich das Kamishibai-Fenster wieder.)
Am Ende des Tages schließen sich viele Fenster wieder. Im Haus wird es still. Viele Menschen schlafen. Viele Menschen träumen. Kannst Du Dir vorstellen, wovon sie träumen?“
Susanne Brandt
Quelle und Material:
Die Geschichte gehört zur Handreichung für das Projekt “Das weiße Blatt. Weltbilder und Bilderwelten zum Weiterdenken mit Kindern”. Das Online-Bilderbuch und die komplette Broschüre mit der Geschichte werden hier zum Download vorgestellt:
https://kita-global.de/blog/agenda-2030/