„Ich mach ein Lied aus Stille / und aus Septemberlicht. / Das Schweigen einer Grille / geht ein in mein Gedicht…“, so beschreibt die Dichterin Eva Strittmatter die Stimmung „Vor dem Winter“ und endet mit den Zeilen: „Ich mach ein Lied aus Stille./ Ich mach ein Lied aus Licht. / So geh ich in den Winter / und so vergeh ich nicht.“
Ja, mit Liedern in den Winter gehen – das ist gewiss kein schlechter Vorrat für die kalten und dunklen Tage! Und so ist es auch mit den beiden CD’s, die hier nun an diesem Herbsttag als kleine „Ohrenöfen“ empfohlen werden. Ach, mehr als das: Wenn erst das Herz mit dabei ist, bleibt die Wärme ja nicht in den Ohren stecken! Und das wird wohl geschehen bei den Liedern von Heike Kellermann und ihrer neuen CD „beziehungsweise“, auf die die oben zitierten Strittmatter-Zeilen schon einen kleinen Vorgeschmack gegeben haben. Aber wie soll man sich das nun vorstellen? Ein Lied aus Stille? Geht das überhaupt? Was klingt da? Etwas ganz Feines und Besonderes!
Denn die Berliner Liedermacherin hat diesem und anderen Gedichten aus alter und neuer Zeit vor allem die „unerhörten“ Töne und Nuancen abgelauscht, all das Zarte und Hintergründige ebenso wie das Brüchige und Widerständige. Durch und durch sinnliche und körperliche Vertonungen in vielfältig instrumentierten Arrangements mit namenhaften Musikern wie Jens Naumikat, Karl-Heinz Saleh, Jürgen Beyer und Wolfgang Rieck sind dabei entstanden , klingende Zeugnisse von Nähe, Hingabe und Ausgeliefertsein mit größter Intensität und Verletzbarkeit.
Genau für eben solche Momente und Erfahrungen hat Heike Kellermann in der außerordentlich reizvollen Lyrikauswahl von Shakespeare, Robert Gernhardt, Wolfgang Borchert, Mascha Kaleko und anderen (kunstvoll gestaltet und mitzulesen im ausführlichen Booklet!) anregende und aufregende Worte gefunden – und mit ihren musikalischen Interpretationen den jeweils richtigen Ton angeschlagen, um diesen Texten gerecht zu werden. So zeigt sie zu Strittmatters „Ich mach ein Lied aus Stille“ die zögernde und feinsinnige Suchbewegung der behutsam tastenden Töne, wiegt sich ein in den Takt von Selma Meerbaum-Eisingers „Schlaflied“, ohne dabei die Zerbrechlichkeit, die hinter der Geschichte dieses Liedes steht, „wegzulullen“ und packt an anderer Stelle beherzt und jazzig zu, wenn es etwa um die „Verzweiflung“ geht oder das Thema von seiner frivolen, derben oder satirischen Seite angeschaut und zum Klingen gebracht wird. Am Ende dieses spannenden Reigens von feinsinnigen Wort-Ton-Beziehungen zum genauen Hinhören, die im Wechselspiel der Harmonien und Dissonanzen von den Sehnsüchten, vom Gelingen wie vom Scheitern menschlicher Beziehungen erzählen, steht Eva Strittmatters „Widmung“ – ehrlich wie alle Stücke dieser CD dem (Ver-)suchen näher als der Gewissheit: „…doch ich hab viel für mich behalten / und dich ließ ich mit dir allein / und du halfst mir, mich zu gestalten / und: gegen dich mir treu zu sein.“
Ein anderer Dichter, der zwischen inniger Hingabe und Abschied stets ein Suchender blieb, war Theodor Kramer (1897-1958), dem eine zweite CD gewidmet ist, an der Heike Kellermann, zusammen mit dem Liedermacher Wolfgang Rieck mitgewirkt hat. Auch Theodor Kramer zählt heute eher zu den vergessenen Poeten, und es ist nicht zuletzt den Liedermachern und -macherinnen zu verdanken, dass er hier und da doch wieder eine Stimme bekommen hat, die nun seine Texte und Gedanken in die Gegenwart hinein singt. Er, der gerade jenen Menschen, die „ohne Stimme sind“, durch seine einfühlsamen Alltagsbeobachtungen so viel Würde zu schenken vermochte, wird mit der CD „Was solln wir noch beginnen“ in den kongenialen Vertonungen und Interpretationen von Heike Kellermann und Wolfgang Rieck mehr als „nur“ in Erinnerung gerufen.
Verbunden mit den abwechslungsreich arrangierten Melodien – neben der Gitarre kommen Banjo, Mandoline, Klavier, Akkordeon, Streich- und Blasinstrumente von der Tuba bis zur Mundharmonika zum Einsatz – sind Wort- und Tonkunstwerke entstanden, die auf ihre ganz eigene Weise zwischen Folk und Chanson genau das zum Klingen bringen, was die Kramer-Lyrik so einzigartig macht: dieser einfühlsame und liebevolle Blick auf die fragilen Glücksmomente im Zwischenmenschlichen – ungeschönt und frei von Kitsch und Klischees und gerade deshalb so authentisch. Heike Kellermann und Wolfgang Rieck interpretieren die Texte als Lieder, die sich mit ihrem Charme eigenwillig von konventionellen Liebesliedern abheben und dennoch viele Menschen anzusprechen vermögen:
„Hinterm Holz geht der Mond auf und schwebt auf uns zu; / und leg ich um dich meinen Arm / so geb ich vielleicht dir die nötige Ruh / und du machst ums Herz mir schön warm. / Wir sind, wie wir sitzen, ein seltsames Paar / du jung wie die Nacht, ich schon alt / wer weiß, ob wir sitzen hier heut übers Jahr…/ Dies Glas noch. Vom Strom kommt’s schon kalt.“ (Theodor Kramer: Beim Stromwirt)
Susanne Brandt
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