„Wach sein und den Stimmen lauschen – das ist das Geheimnis beim Dichten“ (Olav H. Hauge)
Auch wenn ich nicht (nur) zum Dichten nach Norwegen gekommen bin – die Stimmen, die einem hier begegnen, der Vogelgesang und das Gletschergrollen, das Knirschen von Geröll unter den Füßen beim Wandern und nahezu überall das Rauschen von Wasserfällen, lassen als innere Bilder und Stimmungen kein Dichten unberührt und werden ihren Nachklang finden…
Die Route in Stichworten: Langesund – Telemark – Röldalfjell – Hardangerfjord – Sognefjord – Fjaerland und Jostedalgletscher – Bergen & Stavanger – Kristiansand.
Eine Woche Norwegen ist zu kurz – sagen die Kenner. Eine Woche Norwegen ist sehr intensiv – sagen wir nach diesen erlebnisreichen Tagen. Und vor allem: Zu schön, um es bei einem einzigen Besuch hier zu belassen. Wir wollen wiederkommen.
„Fertig“ wird man mit Norwegen sicher nie. Das kann auch gar nicht das Ziel einer Reise durch ein Land sein, das so verschiedene Gesichter, Farben, Landschaften und Ebenen auf vergleichsweise kleinem Raum in sich vereint.
Vieles davon lässt sich kaum in Worte fassen – so überwältigend vermittelt die Natur hier ungeahnte Stimmungen und Farbenspiele. Dass vielleicht gerade darin ein Geheimnis des Dichtens zu finden ist, deutet auf das hin, was beim Dichten zwischen den Worten entsteht. Kein Wunder also, dass hier eine besondere Literatur zu Hause ist, eine Liebe zum Lesen und zur Musik (die es bei weiteren Reisen noch genauer zu ergründen gilt…)
Die für mich neue literarische Entdeckung dieser ersten Reise sind die Werke von Olav H. Hauge mit seiner Lyrik und Tarjei Vesaas mit seiner Prosa. Gleich doppelt offenbart sich hier eine Sprachkunst, die in ihrer Verschiedenheit zugleich etwas Verbindendes, etwas mit dem Land Verbundenes trägt: eine schwer fassbare, mitunter mystische und spirituelle Tiefe, die sich hinter den eher schnörkellosen und zugleich sehr feinsinnigen Wahrnehmungen in den Schilderungen auftut. Da wirkt nichts künstlich inszeniert, übertrieben oder vordergründig zur Schau gestellt. Beschrieben wird, was vor Augen steht und zugleich Hintergründiges ahnen lässt. Erzählt wird von Menschen, die allein sein können und wenige intensive Beziehungen pflegen, nicht viele Worte machen und in dem, was gesagt wird, oft nur eine Spitze des Berges preisgeben. Stille, tiefe Wasser prägen dieses Land – und offenbar auch die Menschen…
„Das Wasser, das stillzustehen scheint und doch weiter fließt; jede Sekunde, jeden Tag und jede Nacht“ (Tarjej Vesaas, aus „Drei Menschen“)
Von den Wegen entlang dieser tiefen Wasser und Worte geben nachfolgend nur wenige Impressionen einen Rückblick – wecken vielleicht die Lust, selbst „den Stimmen zu lauschen“, dort oder anderswo…
Region Telemark
Wer von Hirtshals über Langesund ins Land kommt, kann die Entdeckungsreise gut in der Telemark mit ihren lieblichen Tälern beginnen, um von dort dann im Kontrast dazu die kargen, oft noch schneebedeckten Hochebenen zu erkunden.
Tipps:
Sehr empfehlenswert als erste Station und als idealer Ausgangspunkt für weitere Touren ins Landesinnere mit Telemark-Museum, Wanderungen und Kultur: B&B Gästehaus Lövheim. Ein Dank an Marijke und Wierd Osterloo für die herzliche Gastfreundschaft und den Mut, hier ein altes Haus wieder neu mit Leben zu erfüllen!
Ausgangspunkt für Kultur und Wanderungen: Telemark-Museum
Mehr über Telemark: http://www.nordis.de/magazin/reportagen/neues-weltkulturerbe-in-der-telemark/
Musik und Literatur haben hier eine Wiege gefunden für die Liedersammlerin Olea Cröger und den Spielmann Olav Groven sowie für den Autor Tarjei Vesaas: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Tarjei_Vesaas
Bald hinter dem eher touristischen Tal um Dalen tut sich auf der Hochebene eine völlig andere Landschaft auf: Die alte Passstraße führt vorbei am Rand der Hardangervidda-Ebene und durchs Röldalfjell – zu weiten Teilen auch im Sommer noch schneebedeckt. Röldal ist dann auch unsere zweite „Hütten-Station“ auf dem Weg hinein ins Fjordland.
Hier wie anderswo gilt für alle, die nicht mit Wohnmobil unterwegs sind: Camping-Hütten mit Selbstversorger-Möglichkeit, die sich unkompliziert auch spontan und tageweise buchen lassen, sind neben privaten B&B Unterkünften eine gute Wahl für solche Rundreisen über Land.
Region Hardangerfjord
Von Röldal aus verläuft die Straße zwischen üppig blühenden Obstanbaumhängen und dem glitzernden Fjord durch eine im Sommer mediterran anmutende Wasserlandschaft, die überall zu kleineren und größeren Wanderungen einlädt – wie etwa zu den Gletscherzungen nahe Odde. Weiter geht es von hier nach Ulvik, sehr idyllisch gelegen an einem Ausläufer des Hardangerfjords.
Neben der malerischen Landschaft unbedingt in Ulvik mit einzuplanen: ein Besuch im Literaturmuseum Hauge-Zentrum mit einer reizvollen Ausstellung zum Leben des hier aufgewachsenen Lyrikers Olav H. Hauge wie zu all jenen, die ihn inspiriert und begleitet haben.
Zum Kennenlernen: http://www.badische-zeitung.de/literatur-und-vortraege/die-tagebuecher-des-lyrikers-und-obstbauern-olav-h-hauge–118137432.html
Link zum Zentrum: http://www.haugesenteret.no/ohh/no/
Jostedal-Nationalpark und Bücherdorf Fjaerland am Sognefjord
Literarisch kann es gleich weitergehen, wenn man über die ebenfalls sehr abwechslungsreiche Strecke an den Fjorden und nach einer verschneiten Hochebene im Norden schließlich die Region Sognefjord mit ihren Gletschern erreicht, denn hier sorgt das Bücherdorf Fjaerland mit seinen vielen Antiquariaten dafür, dass auch bei Regen keine Langeweile aufkommt.
Zum Bücherdorf: http://www.faz.net/aktuell/reise/nah/norwegen-bouquinisten-unter-sich-im-schweinestall-1955904.html
Wir aber hatten weiterhin strahlendes Sommerwetter, machten das Dorf daher zum Ziel einer Wanderung und suchten vom Tal aus Wege, um zumindest zu den Zungen des Jostedalgetschers zu gelangen. Wie es dann auf dem hoch gelegenen Eismassiv mit seinen vielen Rissen und Spalten aussieht, die man bis ins Tal donnern und krachen hört, erzählt ein Film im Gletschermuseum aus Hubschrauber-Perspektive.
Schärenküste mit Bergen und Stavanger
Die Rückreise von hier Richtung Süden führt entlang der Schärenküste und ist mit einigen Fährüberfahrten verbunden. Das braucht – wie alle Reisewege in Norwegen – vergleichsweise viel Zeit und lässt sich gut durch zwei abschließende Städtetage unterbrechen: Bergen und Stavanger.
Um es gleich vorweg zu nehmen: das kleinere Stavanger mit dem großen Altstadtteil aus Holz im Kontrast zur modernen Architektur hat bei uns zumindest an einem Sonntag einen angenehmeren Eindruck hinterlassen als das touristisch sehr von Reisegruppen überlaufene Bergen.
Als Tipp für Stavanger: für eine kleine Stärkung oder Erfrischung nicht einen Platz an der Hafenmeile suchen, sondern etwas abseits vom Hafenbecken die Anhöhe mit dem kleinen Turm hochsteigen und sich dort im Café Sting niederlassen, wo es drinnen wie draußen sehr gemütlich, lecker und vergleichsweise preiswert ist. Besonders schön im Sommer in der Abendsonne unter Bäumen!
Unser Weg zurück nach Dänemark führte von Stavanger über Kristiansand – keine Stadt, für die man lange Zeit einplanen muss. Bei schönem Wetter locken ein paar schöne Plätze am Wasser, bei Regen empfiehlt sich ein Besuch des Doms oder der großen Bibliothek, gleich nebeneinander gelegen und fußläufig vom Anleger zu erreichen.
Von Dänemark ist Flensburg nicht mehr weit – das macht es etwas leichter, ein hoffnungsvolles „Auf Wiedersehen, Norwegen!“ zu sagen.
Susanne Brandt, im Mai 2016