„Das Leben bleibt immer Leben“. Die Welt im Blick von Käthe Kollwitz

Ein persönlicher Nachklang: Fünf Tage lang habe ich gemeinsam mit anderen Menschen über das Leben und Werk von Käthe Kollwitz und anderen Kunstschaffenden ihrer Zeit nachgedacht. Mitten in der lieblichen Sommerlandschaft rund um die Gustav Heinemann Bildungsstätte am Kellersee ging es immer wieder um das Grauen des Krieges – und auch um die Frage, ob und wie von ihren Bildern und Aussagen aus der Zeit zwischen 1880 und 1945 noch heute Impulse ausgehen könnten für das aktuelle (friedens-)politische und soziale Engagement.

Als grundlegend empfinde ich dabei besonders ihre tiefe Humanität, mit der sie das Wesen, die Bedrängnis und Lebenssituation einzelner Menschen ihrer Zeit mit großer Empathie erkennt. Eine solche Intensität im Wahrnehmen und Eintreten für die Würde von Kindern, Frauen, Gefangenen, Verzweifelten, Liebenden, Sterbenden und Trauernden bleibt eine zeitlose Botschaft und eine Basis für viele Bereiche des zivilgesellschaftlichen Engagements heute.

„Friedensarbeit von unten“ bleibt hochaktuell

Denn eine so motivierte „Friedensarbeit von unten“ erweist sich gerade heute als wichtig und hochaktuell, um einer drohenden Spaltung, Verrohung, Resignation und Anfälligkeit für menschenverachtende Ideologien entgegenzuwirken – durch lebendige Möglichkeiten und Visionen für ein gutes Miteinander im Alltag. Auch wenn das manchmal so mühsam scheint.

»Das Leben bleibt immer Leben und ist erdegebunden. Und ist vielleicht deswegen so allerschönst, weil es immer mit diesem Traurigen und Sehnsüchtigen durchknetet ist.“, schreibt  Käthe Kollwitz in einem Brief an Arthur Bonus.

Dass wir uns bei einem solchen „Wirken in unserer Zeit“ immer auch nach solidarischen Gemeinschaften sehnen, drückt sich bei ihr u.a. in folgendem Zitat aus: „Man ist doch eben ein Blatt am Zweig und der Zweig gehört zum ganzen Baum.“

Fragile Lebenszusammenhänge

So zeugt für mich ihr gesamtes Werk von einem tiefen Bewusstsein für elementare Lebenszusammenhänge, um deren Fragilität sie weiß und für deren Würde sie kämpft. Ihre wichtigsten Themen in der Darstellung von Menschen bewegen sich  – neben Anklage und Aufruf gegen Krieg und Unterdrückung – zwischen Geburt und Tod, zwischen der Hinwendung zu Kindern am zarten Anfang ihres Daseins und der Realität von Gebrechlichkeit und Sterben am Ende.

Während der letzten Monate ihres eigenen Lebens 1944/1945 in Moritzburg verbringt sie abseits vom Großstadtgetümmel viele stille Stunden am Fenster oder auf dem Balkon.
„Ich notiere, wie die Wolken wandern, wie der Wind sich verhält und so komme ich dem Ablauf eines Tages auf die Spur“, schreibt sie im Oktober 1944 in einem Brief. Ihr intensives  Wahrnehmen von Zusammenhängen in der Welt findet hier – so scheint es – beim Blick auf Landschaft und Natur im Wechsel der Jahreszeiten eine Fortsetzung, wenn auch verbunden mit anderen Bildern.

Diese Besonnenheit der letzten Lebensmonate steht ihrem über Jahrzehnte revolutinären, von sozialistischen Ideen geprägten politischen Wirken (ohne sich dabei parteipolitisch vereinnahmen zu lassen) nach meinem Verständnis nicht unverbunden gegenüber. Denn mit Naturromantik und Verklärung des Wahren und Schönen hat ihr Blick in die Landschaft und auf die Dynamik wie Zerbrechlichkeit des Leben nichts zu tun!

Bewusstsein für Freiheit bis zum Schluss

Vielmehr drückt sich darin weiterhin ihr intensives Bewusstsein für Freiheit aus, das ihrem Wirken zugrunde liegt und das alles Vergängliche und Unverfügbare in der Mitwelt mit einzuschließen scheint.

„Das, woran ich mich halte, ist der weite Horizont“, schreibt sie in einem anderen Brief dieser Zeit. Das öffentliche Wirken der alt und gebrechlich gewordenen Käthe mag in den letzten Monaten des Krieges leiser geworden sein. Ihr „liebevoller Blick“ in die Welt aber sucht bis zuletzt die Weite des großen Lebensgeflechts. Vielleicht helfen ihr am Ende die Aussichten auf Wind und Wolken, Bäume und Blätter dabei, dieser Vision immer tiefer zu vertrauen.

Zum Weiterlesen: https://kaethekollwitz.org/2018/11/21/kathe-kollwitz-und-die-lebensreform/

Mit dem Stift in der Hand

                                             Chanson für Käthe Kollwitz (1867-1945)

Sie rüttelt am ruhigen Gewissen,
schaut achtsam auf das, was geschieht,
erkennt in der Tiefe das Unrecht, das Leid –
und Schatten, die kaum jemand sieht.

Ergriffen vom Elend der Kinder,
hält sie ihren Zorn nicht zurück,
bleibt stark in der Liebe, zerbrechlich und frei.
Nur selten zu sehen: das Glück.

Sie zeichnet den Schmerz vieler Frauen:
die Sorgen, das Sehnen, die Not.
Sie rackern und schuften und legen sich krumm –
und mitten im Leben: der Tod.

Da schleicht sich der Krieg in die Köpfe
und nistet sich tückisch dort ein.
Sie setzt sich zur Wehr mit dem Stift in der Hand,
malt wieder und wieder ihr Nein.

Ihr Blick sucht die Botschaft der Augen.
Sie findet die Angst im Gesicht.
Wenn viele auch reden von Ehre und Sieg –
sie traut den Maskierungen nicht.

Verbunden mit Ton, Staub und Erde,
geschwisterlich mit Haut und Haar –
so nimmt sie das kostbare Lebensgeflecht
mit Feinsinn und Leidenschaft wahr.

Sie spricht eine andere Sprache,
erzählt ohne Worte, was ist –
dass niemand im Ringen um Frieden und Recht
die Würde der Menschen vergisst.

Susanne Brandt

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt