Zwei Bilderbuchtipps: Vom Unvorhersehbaren in der Welt

Bilder(buch)sprachen aus verschiedenen Ländern bringen Vielfalt in gewohnte Sichtweisen und Stereotypien.
Das allein ist schon mal eine gute Nachricht. Und das gilt auch für diese beiden Bilderbücher, die auf den ersten Blick nur wenig miteinander zu tun haben. So unterschiedlich die Thematik und Poesie. Beim genaueren Hinschauen aber zeigt sich: Was beide miteinander teilen, ist die Lust am Unvorhersehbaren. Sie ermutigen auf jeweils ganz eigene Weise dazu, sich auch auf Überraschendes einzulassen und so eine geradezu zärtliche Beziehung zur Welt und zum Leben zu entwickeln – mit allem, was uns täglich begegnen und herausfordern kann.

Inmitten einer großen Flut von Titeln, die sich mit den Trend-Themen Freundschaft und Naturwahrnehmung oft mit erkennbaren Absichten und vordergründiger Moral – dazu gern unter dem Aspekt von Nachhaltigkeit – an Kinder wenden, fallen diese beiden Titel sympathisch aus dem Rahmen: Sie belehren nicht und lenken nicht auf die eine offensichtlich „richtige“ Fährte, sondern beschreiben vielmehr was ist – mit allen Unterschieden, Irritationen und Blickwechseln, die zu den vielleicht wichtigsten Erfahrungen gehören, wenn es um die sogenannte „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ geht.

Aber der Reihe nach:

Für Ziege und Hase beginnt eine unerwartete Freundschaft im Supermarkt. Denn beide lieben den gleichen Dosengras-Geschmack.
Auch sonst entdecken sie ziemlich viele Gemeinsamkeiten, allerdings bald auch Unterschiede: Hase liebt seinen Kaffee süß, Ziege nicht. Ziege ist stark, aber nicht stark genug, um einen verpassten Zug ganz gelassen zu nehmen. Aber: Das ist okay – denn es gibt immer Wege, gemeinsam damit klarzukommen.

Die chinesische Illustratorin Ye Gou zeichnet minimalistisch in einer Mischung aus Monodruck, Collage, Farbstift und Gouache mit hintergründigem Humor die Geschichte einer Freundschaft nach, die sich in besonderer Weise durch Offenheit und Akzeptanz für das Anderssein auszeichnet und bewährt. Was im Leben gar nicht so leicht ist – nämlich Unterschiede zuzulassen, ohne sie korrigieren zu wollen – gelingt hier mit einer leisen Unbeschwertheit, respektvoll und feinfühlig einander zugewandt.

Könnte das doch immer so gelingen! Leben in Vielfalt wäre um einiges schöner und unverkrampfter. Umso wichtiger, schon früh gute Bilder und Beispiele dafür zu sammeln – wie mit diesem Buch! Für Kinder ab 3 und älter….

  • Ye Guo: Ist Okay. Aus dem Englischen von Mine Hawel. Mixtvision, 2025. ISBN 978–3–95854–240–2

 

María José Ferrada, Azul López (Illus.): Zwischen dem Gras. Anleitungen, um ein Gedicht zu finden

Gute Bilder für Vielfalt schenkt auch das Buch „Zwischen dem Gras“ der chilenischen Dichterin Maria José Ferrada mit ausdrucksstarken Illustrationen der mexikanischen Bilderbuchkünstlerin Azul López. Eine „Anleitung, um ein Gedicht zu finden“, wie es zu Beginn heißt? Genau das – und noch viel mehr: Auch hier gehen die poetischen Texte (feinsinnig übersetzt von Silke Kleemann) mit den ausdrucksstarken Illustrationen Freundschaften ein, die gerade von der Spannung der Ergänzung und Verschiedenheit leben. Jede Begegnung zwischen ihnen öffnet sozusagen Fenster in eine überraschende Welt, die noch Platz lässt für eigene Ideen und Phantasien. Es muss also nicht erklärt werden, wie sich Gedichte (er)finden lassen. Der Sinn fürs Poetische im Blick auf die Welt und das Zusammenleben wird Seite für Seite von ganz allein geweckt – einfach beim Blättern und Staunen. Ab Grundschulalter spannend und erstaunlich für alle!

  • Maria José Ferrada / Azul López: Zwischen dem Gras. Hagabutte Verlag, 2024. ISBN 978-3-96252-017-5

Empfehlung von Susanne Brandt

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt