Stolpersteine in Lübeck-Vorwerk: „Wir konnten sie nicht bergen“

Namen und Worte, die sich einprägen: Als Stolpersteine auf dem Weg wie auch in Stein gemeißelt bei der Plastik „Die Bergende“ des Lübecker Bildhauers Heinrich Brand (1942-2006) sind sie als Mahnmal am Eingang zum Campus der Diakonie Nord Nord Ost im Lübecker Bezirk Vorwerk (St. Lorenz Nord) nicht zu übersehen. Dazu der Satz: „Wir konnten sie nicht bergen“.

Mit der Stolperstein-App lassen sich erste Fragen beantworten: Wer war Gisa Feuerberg (1925-1940)? Wer war  Hannolore Gerstle (1924-1940)? Wer waren die anderen?

In den den abrufbaren Kurzinfos heißt es dazu: Zehn jüdische Menschen mit Behinderungen, davon acht Kinder, wurden am Morgen des 16. September 1940 von den Nationalsozialisten im Pflegeheim Vorwerk abgeholt und mit Transportern weggebracht. Eine Woche später, am 23. September 1940, wurden sie in Brandenburg an der Havel ermordet: Julius Daicz, sein Bruder Max Isaak, Hermann Jurmann, Amalie Malka Langsner, Gisa Feuerberg, Hannelore Gerstle, Jerubal Toeplitz, Erich Weil, Erich Stein und dessen Bruder Arnold Stein.

s. dazu; https://www.stolpersteine-luebeck.de/start

Wir wissen oder vermuten, dass die Kinder in Familien mit guter Hoffnung zur Welt gekommen sind. Dass die Familien – wie in Gisa Feuerbergs Lebensgeschichte überliefert – lange nach einem Ort gesucht haben, der ihrem Kind Schutz, Pflege und eine gute Entwicklung ermöglichen könnte.

Es hätte gut werden können mit der erhofften Fürsorge und Zuwendung in diesem Heim. Die richtige Entscheidung? Die falsche Entscheidung?

Hoffnungen brutal zerschlagen

Zum Zeitpunkt der Entscheidung waren Hoffnungen auf einen bergenden Ort, auf gute Pflege und Begleitung durch warmherzige und glaubwürdige Menschen noch real. Einige Jahre später wurden diese Hoffnungen brutal zerschlagen, Schutzraum und Menschenwürde missachtet, Kinder aus dem bergenden Lebensraum gerissen und ermordet.

Wie viel Angst, Hilflosigkeit und Verlassenheitsgefühle mussten die Kinder in den letzten Tagen ihres Lebens durchleiden? Wie tief war der Schmerz all jener, die realisieren mussten: „Wir konnten sie nicht bergen“? Solche Fragen und Gedanken kommen an kein beruhigendes Ende, verscheuchen keine Trauer, keinen Zorn und ordnen das Unfassbare nicht.

Aufmerksamkeit wach halten

Was aber dennoch geht und umso wichtiger bleibt: die Aufmerksamkeit wach halten für das, was Menschenwürde und Achtung vor dem Leben verletzt – denn das Zerstörerische beginnt oft schleichend. Und hoffnungsfroh bleiben bei dem, was uns einfühlsam, entschlossen und ideenreich macht für eine inklusive, chancengerechte und solidarische Gesellschaft und Menschheitsfamilie. Vieles gehört dazu. Manches kann dabei helfen und sich entwickeln. Wir selbst auch.

Susanne Brandt, 9. November 2024

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt