„Unser Denken findet zu anderen Verknüpfungen, wenn wir draußen unterwegs sind, sprachlichen Ausdruck und entdeckendes Lernen unter dem Einfluss von Wind und Licht, Farben und Düften erfahren. Die damit verbundene körperliche Bewegung spielt eine wichtige Rolle. Aber nicht allein. Gerade dort, wo wir im Freien auch zur Ruhe kommen und in der Mitwelt das Unverfügbare und die ständige Verwandlung nach anderen Rhythmen erleben, treten wir anders mit den Dingen der Welt in Beziehung – und fangen vielleicht an, unser vorhandenes oder gerade hinzugewonnenes Wissen neu zu reflektieren. Vorausgesetzt, wir lassen uns wirklich offen darauf ein und suchen in der Naturbegegnung nicht nur die eigennützige Zweckerfüllung.“
So lautet ein Gedanke aus einem Essay zur Bedeutung von Natur im Kontext (nicht nur) von Bibliotheken, der in der aktuellen Juli-Ausgabe 2024 der Fachzeitschrift BuB erschienen ist.
Hier online zum Nachlesen:
https://www.b-u-b.de/detail/veraestelt-unwegsam-erstaunlich
Ein spannendes Thema, das weitere Fragen aufwirft und bereits einen spannenden Austausch angeregt hat. Daran anknüpfend lässt sich weiterdenken:
Was passiert konkret und vor allem nachhaltig wirksam, wenn wir uns regelmäßig Zeit nehmen für eine vertiefende Wahrnehmung der Mitwelt in unserem Lebensumfeld? Und: Wenn das, was dabei erfahrbar wird, für alle Lebensphasen (von der frühen Kindheit bis ins hohe Alter) bedeutsam ist – in welcher Weise tragen solche dialogischen Beziehungen zur Mitwelt zum informellen lebensbegleitenden Lernen im Alltag bei?
Vielleicht so…
Wir können ein Gefühl für das Fragile wie beständig Wiederkehrende in der Natur entwickeln und uns in einem dialogischen Verhältnis zu Pflanzen, Tieren und Elementen üben, indem wir all das nicht vorrangig als Objekte betrachten und gleich zu erklären versuchen, sondern eher auf der Beziehungsebene eine wechselseitige Verwandlungskraft wahrnehmen.
Wir können Demut und zugleich ein großes Glück empfinden, an der faszinierenden Vielfalt und Entwicklung der Natur Anteil zu nehmen. Ausdrucksmöglichkeiten unserer Sprache(n), Kultur und Spiritualität – Musik, Poesie, bildnerisches Gestalten – lassen sich dabei organisch und sensibel in das „Gespräch mit der Natur“ einbeziehen.
Durch eine intensivere alltagsintegrierte Naturbeziehung und Resonanzerfahrung kann das Bedürfnis nach Konsum, Optimierung, Reichweitenvergrößerung, Steigerung und Beschleunigung nachhaltig an Dominanz verlieren, weil in der unmittelbaren wohltuenden Begegnung andere Werte, Bewegungs- und Zeitempfindungen wichtig werden.
Eine solche Entwicklung könnte also wirksam mit zur Transformation beitragen.
Das herrschende Ungleichgewicht zwischen Menschen und nichtmenschlicher Natur wird so ganz allmählich in eine neue Balance kommen, die aus einem inneren Bedürfnis heraus entsteht und nicht durch vorgegebene Aufgaben oder Wettbewerbsanreize, die oft nur kurzfristig funktionieren und nicht selten Rebound-Effekte auslösen.
Zur Demut gehört auch: Von all dem lässt sich nicht der Anspruch ableiten, die einzige oder beste Antwort auf die komplexen Herausforderungen von Klimakrise und Artensterben zu kennen. Niemand wird auf diese Weise zum „Macher des Wandels“ oder zur „Weltretterin“, sondern erlebt vielmehr eine fragile Wechselwirkung und Teilhaben in der Weltbeziehung, aus der heraus eine intrinsische Motivation für veränderte Alltagsroutinen resultieren kann – etwa im Umgang mit Ressourcen, Mobilität, beim gesellschaftlichen, sozialen oder politischen Engagement. Denn immer wieder führt eine dialogische Haltung zur Natur den Blick auch über die eigene Perspektive und Befindlichkeit hinaus und öffnet Einsichten in größere Zusammenhänge.
Das ist nicht die ganze Lösung, aber auf jeden Fall ein sinnvoller, überall und jederzeit möglicher Ansatz an den Wurzeln vielschichtiger Faktoren, die in die Dynamik von Artensterben und Klimakrise mit hineinspielen.
Es werden viele verschiedene Schritte und Wege auf unterschiedlichen Ebenen nötig sein, um weitere Erfahrungen zu sammeln und an neue Erkenntnisse anzupassen. In diesem Prozess gilt es, kritisch und kooperativ bewusst jene Verbindungen sinnvoll mitzugestalten, die einem mit Leidenschaft besonders am Herzen liegen und ein langfristiges Engagement auch mit Blick auf die eigenen Talente und Grenzen möglich machen, ohne auszubrennen.
Susanne Brandt
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