Ein Kommentar
„Erzählungen, die Lust auf Zukunft machen“ – so beschreibt Eckhart von Hirschausen das Anliegen der Klimamesse als Teilbereich der Leipziger Buchmesse 2023. Viel ist in der Welt passiert seit der letzten Buchmesse vor drei Jahren. Darum geht es bei vielen Veranstaltungen, Gesprächen und Neuerscheinungen – nicht nur im Rahmen des Klima-Programms, sondern in allen Hallen auf vielfältige Weise.
Was dabei „Lust auf Zukunft macht“?
Die Frage mutet für meinen Geschmack etwas zu harmlos an. Denn vor der „Lust auf Zukunft“ steht eine intensive Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit einer vielstimmigen Gegenwart. Daraus Visionen zu entwickeln für den Blick über den heutigen Tag hinaus, kann uns mit Lust erfüllen – aber vielleicht ist dabei etwas anderes noch wichtiger: unsere Beziehungserfahrung als Mitgeschöpfe in der Welt
Worte für Schmerz und ermutigende Visionen
Meine persönliche Frage beim Gang über die Messe war deshalb eher: Wie lernen wir umzugehen mit diesem Wechselbad aus Schrecken und Veränderungshoffnung ohne darin unterzugehen? Und wie finden wir dafür Worte, die dem Schmerz wie den ermutigenden Visionen gerecht werden?
Eindrücke dazu habe ich gesammelt bei Verlagsgesprächen an ausgewählten Ständen, bewusst auch aus verschiedenen Ländern und Perspektiven der Welt. Interessante Impulse ließen sich aufnehmen bei einer Buchdiskussion zu „Waldwissen“ wie bei Autorinneninterviews zur Kraft der Poesie wie zu engagierter Jugendliteratur.
„Welt retten“ mit kolonialistisch anmutender Überheblichkeit?
Dabei bewegt mich auch die Frage: Welche Haltung verrät die allerorts präsente Retter-Rhetorik angesichts der brennenden Klimafragen? Klingt dabei nicht schon wieder eine kolonialistisch anmutende Überheblichkeit an, mit der wir uns in Europa gern selbst eine Retterrolle zusprechen, dabei aber zugleich marginalisieren, wie Menschen in anderen Teilen der Welt vielleicht anders, aber viel deutlicher durch ihren Lebensstil zur CO2-Reduktion beitragen?
Aus ihrer Perspektive spielt unser Bemühen im kleinen Europa nur eine untergeordnete Rolle und verschwindet hinter der großen Last, die wir verursacht haben.
Nur hat ihre Perspektive des globalen Südens oder aus den Polarregionen im Journalismus wie auch auf dem deutschsprachigen Buchmarkt kaum die Chance einer breiteren Wahrnehmung.
Wir Weltretter und Weltretterinnen? Da dürfen wir gern etwas leiser werden und sollten auch Kindern andere Geschichten erzählen.
Gedichte werden zu Humus
Vielleicht in dem Sinne, wie Maria Stepanova über die Wirkmacht von Poesie erzählt: Gedichte gelangen in die Zukunft wie tote Gräser in den Boden. So werden sie zu Humus, auf dem die Texte und Gedanken anderer Menschen wachsen können. Mir gefällt das Bild auch deshalb, weil es unser kulturelles und künstlerisches Tun im Kreislauf des Lebendigen sieht und uns daran erinnert, dass wir nicht über die Welt erzählen und bestimmen können, sonder so tief in sie eingebunden sind, dass wir mit ihr vergehen und Verwandlung erfahren.
Keine Retter-Rhetorik also – sondern Demut, Hingabe für das Lebendige und schöpferische Beziehung zur Mitwelt.
Ich glaube ja, dass aus einem solchen Bewusstsein vieles lebendig hervorgehen kann – auch unser Handeln und Engagement, mit dem wir unsere Verbundenheit nicht nur in Worte fassen, sondern auch leben.
Susanne Brandt