Wege & Worte – das ist eine nachhaltig gestaltete Reiseweise mit sieben B‘s: Benelux mit Bahn, Bed & Breakfast, Bibliotheken, Beginenhöfen, Begegnungen – eine Mischung aus Wegen im Freien wie durch Räume, die in besonderer Weise von Worten, von Poesie und inspirierenden Geschichten geprägt sind und neue Gedichte und Gedanken entstehen lassen.
Station 3: Bibliothek und Literatur in Mechelen
Wer im Erdgeschoss aus den Fenstern der Bibliothek von Mechelen in den Innenhof schaut, kommt nicht an Worten vorbei, die auf das Glas geschrieben sind: Poesie von Herman de Coninck mischt sich ein in das Schauen und Denken – hier wie in vielen anderen Räumen an diesem poetischen Ort.
Die Bibliothek von Mechelen gehört auf meiner persönlichen Liste der „schönsten Bibliotheken“ ganz weit nach oben: durch und durch sonnenlichtdurchflutet, warm, schnörkellos ästhetisch in der Verbindung von alt und neu hinter den Mauern eines ehemaligen Priesterseminars mit lichtem Innenhof. Unten beschwingte Cafehaus-Atmosphäre mit Musik, in den Stockwerken darüber viele Kabinette, Sitzgruppen, Arbeitsplätze und Räume für Rückzug und Begegnung.
Ich vermute, dass auch Herman de Coninck Freude gehabt hätte an diesem Ort.
Er, von dem man sagt, er habe „den Leuten das Lesen von Gedichten näher gebracht“, wurde im Februar 1944 in Mechelen geboren. Früh fand er Anregungen für Literatur und das eigene Schreiben, da seine Eltern in einer Buchhandlung arbeiteten. Nach der Schule studierte er deutsche Philologie an der Katholischen Universität Leuven.
Bereits 1969, im Alter von 25 Jahren, fand er Aufmerksamkeit und Anerkennung als Lyriker mit seiner erste Gedichtsammlung „De lenige liefde“, die mehrfach ausgezeichnet wurde: mit dem Yang-Preis und dem „Prijs van de Provincie Antwerpen“ (Preis der Provinz Antwerpen).
Mit Croninck als Sprecher und Begründer entwickelte sich eine neue literarische Bewegung: der Neue Realismus. Die Bewegung war eine Reaktion auf die literarische Generation davor, bekannt als „De Vijftigers“ (Die der fünfziger Jahre), zu der einer der berühmtesten Schriftsteller Belgiens gehörte, Hugo Claus.
Der Neue Realismus wurde zugänglicher und greifbarer als das Werk der Fünfziger. Die Künstler dieses neuen künstlerischen Richtung verwendeten eine direkte und einfache Sprache, die gewöhnliche Dinge und Ereignisse beschrieb und gleichzeitig subtil die ungewöhnlichen Dinge des Lebens zeigte. Innerhalb der neuen realistischen Poesie zeichnete sich „De lenige liefde“ durch seinen feinsinnigen Humor aus, leicht und verspielt im Ton.
Neben Lyrik veröffentlichte er auch Prosa, Interviews und eine Reihe von Essaysammlungen. Aus einer Sammlung von 15.000 Briefen, die er hinterlassen hat, sind über 400 in dem Buch „Een aangename postumiteit“ (Eine angenehme Posthumität) herausgegeben.
De Coninck starb unerwartet an Herzversagen auf dem Weg zu einem Literaturkongress in Lissabon am 22. Mai 1997 im Alter von nur 53 Jahren.
2007 wurde ein Preis für Poesie in seinem Namen und zu seinem Gedenken ins Leben gerufen. Der Herman de Coninck-Preis gilt als der wichtigste flämische Preis für Poesie.
In ganz Belgien ist Coninck bis heute mit seiner Poesie an öffentlichen Orten verewigt, insbesondere in seiner Heimatstadt Mechelen und auf der Cogels-Osylei, einer bekannten Straße in Antwerpen, wo er früher lebte.
Menschen können mit seinen Gedichten, gedruckt auf Stofftaschen, durch die Straßen spazieren, sie mitnehmen auf Reisen und mit immer wieder anderen Dingen füllen. Er, der das Alltägliche so unmittelbar, spielerisch, begreiflich und rätselhaft zugleich in seiner Poesie zu beschreiben wusste, hätte wohl nichts dagegen gehabt.
Verdichtet…
Auf Fenstern und Mauern, auf Stoff und Papier
wagen Worte das Weite,
wo niemand sie sucht, aber eine sich wundert,
sie kostet und teilt wie ein duftendes Brot.
Susanne Brandt