Um Visionen von „Trauminseln“ ging es bei einem von Richard Wester initiierten Schreibwettbewerb im Sommer 2022. Überraschend war die Vielfalt der Preisträgerinnen-Texte, die am 1. September bei einer Lesung in der Buchhandlung Rüffer vorgestellt wurden: In keinem ging es um exotische Inselparadiese für unbeschwerte Urlaubstage. Trauminseln – das sind Zufluchtsorte, Hoffnungspunkte, Fantasiewelten auch und gerade inmitten der fragilen Lebenswirklichkeit.
Der 3. Preis: Mückengold und Inseltraum…
Ich sehe mit den Ohren: perlendes Plätschern, rhythmisches Rauschen, das Rascheln der Muscheln, wenn eine Welle an den Strand schwappt und gleich darauf zurückrollt. Eine Ocean Drum, die in keine Tasche passt. Die niemand besitzen kann. Der Platz hier zum Lauschen gehört allen, Tag und Nacht.
Dazwischen Möwenrufe: Musik des Meeres – wenn auch weit entfernt von dem, was ich Melodie nennen würde.
Meine Hände malen das Bild in Gedanken weiter, tasten den warmen Sand ab, lassen die feinen Körnchen durch die Finger rieseln. Dabei weht mir der vertraute Geruch der Ostsee um die Nase.
Ich bin nicht ins Flugzeug gestiegen, um hierher zu kommen. Die Bewegung der Liebe ist anders – leiser, langsamer, sanfter. Denn die Liebe zu dieser Insel lässt sich nicht trennen von der Liebe zur Erde, nicht losgelöst empfinden von der Liebe zum zarten Fadenspiel des Leben, das so verletzlich geworden ist.
Wenn ich hier liege – die Augen geschlossen und dem begrenzten Ort mit Haut und Haaren ausgeliefert – kommt es mir so vor, als würde ich das Kribbeln der Welt an meinem Rücken spüren.
Ich mag das – auch wenn sich in das Kribbeln gelegentlich kleine Stiche mischen. Nein, ein völlig schmerzfreier Wohlfühlort war die Erde noch nie. Und diese Insel als Teil davon ist es auch nicht.
Aber wenn ich hier liege, dann wird sie für mich gerade deshalb zur Trauminsel. Eben weil sie mich so sinnlich und intensiv wie kaum ein anderer Ort mit dem Leben auf dieser Erde verbindet. Und der Fantasie so viel Nahrung schenkt.
Dabei ist der Weg, der mich hierher geführt hat, nicht allein in Metern zu messen und mit einem Boot zu überwinden.
Den Zugang zur Trauminsel finde ich nur dann, wenn ich mich wirklich einlasse auf dieses Erlebnis: das Wunderbare lieben lernen – so fragil, wie es eben ist.
Jetzt öffne ich die Augen: über mir der Himmel, blau mit ein paar Federwolken. Eine Schwalbe, hoch oben, saust durchs Bild und verschwindet wieder. Andere folgen.
Nicht weit von meinem Platz am Strand liegt ein kleines Gehöft mit alten Stallungen.
Dort werden sie zuhause sein, denke ich, Unterschlupf finden unter dem dicken Reetdach.
Einzutauchen in das vielfältige Leben meiner Trauminsel heißt auch: Gast zu sein in einem Insektenparadies, in dem die Mücken ebenso kostbar sind wie die Schmetterlinge. Die Schwalben zwitschern mir zu, warum.
Ich richte mich auf, wende mich ab von Himmel und Meer, um die Weite der Wiesenlandschaft mit den Augen zu durchwandern: Hinter einem kleinen Kiefernwäldchen blühen roter Mohn und weißer Klee, mischen sich mit blauen und gelben Blüten, von denen ich die Namen nicht kenne. Und am Wegrand wuchern Disteln. Schon aus der Ferne erkenne ich das Schwirren drumherum, gehe nun los, um mir das genauer anzuschauen: Was lieben die zarten surrenden und schwebenden Wesen ausgerechnet an diesem borstigen Kraut so sehr?
So sehr, dass ich mich anstecken lasse von dieser Liebe, den aufrecht sich wiegenden Stängeln nun ganz nahe komme, um die kunstvoll gebauten Blütenköpfe zu bestaunen:
Da landet ein Falter. Seine Flügel vibrieren, klappen auf und zu. Übergriffig, meine Neugier. Meine Bewegungen verschrecken ihn. Also ziehe ich mich leise zurück, nehme den kleinen Pfad zurück zum Strand, achte auf meine Schritte, damit ich nichts zertrete.
Je näher ich dem Wasser komme, desto mehr prickelt es unter meinen Füßen. Während ich eben noch durch weichen Sand geschlurft bin, tipple ich jetzt auf Zehenspitzen durch zerbröselte Muschelschalen und kleine Steinchen. Schon als Kind spürte ich an solchen Stränden den Impuls, mich in eine Schatzsucherin zu verwandeln, in die Knie zu gehen und mit einem kleinen Stöckchen das winzige Geröll des Meeres zu durchpflügen. So auch jetzt und hier. Jedes honiggelbe Leuchten, das dabei zum Vorschein kommt, weckt „Mückengoldträume“ in mir. Nur selten erweist sich das, wonach ich hoffnungsvoll greife, tatsächlich als Bernsteinfund. Aber es könnte ja sein…es könnte ja sein, dass mir ein Klümpchen von diesem fossilen Harz – und sei es noch so klein – einfach vor die Füße kullert.
Es ist nicht sein Wert als Schmuckstein, der mich interessiert. Es sind seine Geschichten, die ich zu lesen versuche, sobald tatsächlich mal ein echter Bernstein in meiner Hand liegt: Trauminsel-Geschichten aus uralten Zeiten – aus einer Welt mit hohen Bäumen, filigranen Insekten und vielerlei Blüten, die aufblitzt für mich, sobald die Sonne mit ins Spiel kommt.
Die Sonne spielt auch heute mit, die gute Alte.
Und hoffentlich, so träume ich, hoffentlich wird sie noch mit im Spiel sein, wenn Bernsteine in unvorstellbar vielen Jahren vielleicht anderen von meiner Trauminsel hier erzählen: von den Kiefern, Disteln und Mohnblumen, den Mücken, Schmetterlingen und Schwalben.
Ein Traum, sich das einfach mal vorzustellen – trotz allem…
Susanne Brandt, im Juli 2022
Infos zum Projekt: http ://www.richardwester.de
Text zum Download: Mückengold und Inseltraum