Sprachklänge und Bildsprache im Dialog. Reiseimpressionen aus Frankreich

Reisen ist immer eine Bewegung ins Offene. Auch wenn mit der Reise feste Termine und Aufgaben verbunden sind, bleiben viele Fragezeichen: Es wird zu Begegnungen mit unbekannten Menschen kommen, mit schwer einschätzbaren Situationen, fremden Orten, einer unvertrauten Sprache…

Eine Einladung des Goethe-Instituts Nancy ist für mich in diesem Sinne zu einer Lehr- und Lernreise geworden. Denn es ging nicht allein darum, den Teilnehmenden der Workshops Anregungen für ihre Sprachvermittlung bei kleineren wie größeren Kindern zu geben. Die wechselseitigen Erfahrungen beim Ausloten von Chancen für einen lebendigen Unterricht, mein Erleben von eigenen Grenzen bei der Fremdsprache Französisch und die gemeinsame Freude am Gelingen und Beleben von Ideen – alles das hat die offene Atmosphäre der Reise geprägt.
Ein besonderer Dank gilt dem Goethe-Institut, speziell Daniela Frank und den Mitarbeitenden, für die umsichtige und flexible Vorbereitung und Begleitung auf dieser Reise.

Nach Frankreich aufgebrochen bin ich mit drei Fragestellungen, denen ich gemeinsam mit den Menschen, die mir dort begegnen sollten, auf die Spur kommen wollte. Was wir dabei entdeckt haben – davon will ich hier erzählen….


Frage 1: Wie lässt sich der Fremdsprachenerwerb (hier: Deutsch in Frankreich) durch bildgestütztes Erzählen mit Kamishibai bei verschiedenen Altersgruppen ergänzen und unterstützen?

Bisher habe ich mir diese Frage vorrangig im Blick auf Sprachförderung für Geflüchtete in Deutschland gestellt. Bei dieser Reise ging es um Deutsch als Element in verschiedenen Stufen des französischen Schulsystems – hier etwa im Alter von 2 bis 12 Jahren – wie auch um sprachgemischte Gruppen.

Was wir in vier Halbtags-Workshops dazu erarbeiten und an zahlreichen Beispielen erproben konnten, ist dies:

Beim Sprechen und Erzählen mit Kamishibai vor kleinen bis mittelgroßen Gruppen lassen sich vielfältige Erfahrungen sammeln und Wirkungen erproben, die bei der Fremdsprachenvermittlung besonders hilfreich sind…

  • Das gesprochene Wort erfährt Unterstützung durch stehende Bilder, die in einem individuellen Tempo wechseln.

  • Der oder die Erzählende bleibt mit der Aufmerksamkeit beim Gegenüber und erzählt im Dialog, gibt also Gelegenheit zum Miterzählen und Sprechen zu den Bildern, angepasst an das jeweilige Sprachniveau. Die Hörenden wie die Erzählenden fühlen sich mit dem Geschehen verbunden.
  • In kurzen Sequenzen lässt sich zu den Bildern leicht ein zweisprachiges Vorlesen im Wechsel gestalten.
  • Die Hände sind beim Erzählen frei, können zusätzlich über Materialien, Gesten und Musik weitere sinnliche Begleiter zur gesprochenen Sprache einsetzen, so dass sich ein vielfältiger Kontext ergibt.
  • Geschichten und Bilder regen durch ästhetisches Erleben beim Lernen vielfältige Emotionen, Fantasie und Vorstellungskraft an – und das eigene kreative Tun.
  • Die Vielfalt an Texten, Themen und Vertiefungsmöglichkeiten – vom einfachen Kettenmärchen bis hin zu philosophischen Einzelfragen als Impuls zum Weiterfragen – ist so groß, dass eine Anpassung an jeden Sprachstand, jede Lebensphase (vom Kleinkind bis zu Hochbetagten) und jedes Interesse möglich ist.
  • Leicht transportabel und unabhängig von Strom und Technik lässt sich das Kamishibai in jede Situation und in allen Räumlichkeiten unkompliziert integrieren – drinnen wie draußen

Und eine spannende Entdeckung am Rande: Im beeindruckenden Bildergeschichten-Museum von Epinal, einem der drei Begegnungsorte, ließ sich auch historisch erkunden, wie sich das Erzählen und Erklären durch Bilder und mit begleitenden Liedern – angefangen mit den frühen Höhlenmalereien – durch die Kulturgeschichte der Menschheit zieht und mit der Erfindung des Papiers als Bilderbögen sozusagen zum mobilen Medium geworden ist. Auch in vorigen Jahrhunderten gab es dazu schon Einflüsse und Wechselbeziehungen mit Japan und anderen Ländern. So reiht sich das Kamishibai ein in eine sehr alte und interkulturelle, zugleich aber immer wieder neue und variable Kunst der Erzählbilder auf Papier.

Frage 2: Wie lassen sich neben den klassischen Erdzählstoffen wie z.B. Märchen auch Sachthemen mit Kamishibai aufgreifen, präsentiert und kreativ entfalten?

Anregungen zu dieser Frage habe ich besonders durch Einblicke in das Engagement der Bibliothek am Goethe-Institut gewonnen.

Dort beginnt man gerade damit, zum Thema Garten und Umwelt den Buchbestand mit erlebnisorientierten Angeboten und Symbolen zu erschließen. Hierzu ergab sich ein interessanter Austausch zu den Nachhaltigkeitsprojekten in Schleswig-Holstein wie auch zu der Frage, welche Rolle das Kamishibai hierbei spielen kann.
In einigen Workshops bot sich die Möglichkeit, daran anzuknüpfen.
Das Thema „Wölfe“ wurde genannt, für das passendes Material gebraucht wird. Nicht nur in Frankreich!

Insgesamt ergeben sich zum Themenkreis Natur und Nachhaltigkeit viele Möglichkeiten der Kombination mit Sachinformationen und Geschichten, wie z.B.:
„Imkerei“, kombiniert mit dem Märchen von der „Bienenkönigin“.
Oder: „Wasserkreislauf“ in Verbindung mit „Das Wasser gehört allen“.

Frage 3: Welche Rolle spielen Lieder und Musik in Verbindung mit dem bildgestützten Erzählen für den Spracherwerb und welche kulturellen Besonderheiten lassen sich dabei entdecken?

Die erste Berührung mit dieser Frage ergab sich für mich beim Besuch des Tomi-Ungerer-Museum in Straßburg, wo u.a. dokumentiert ist, dass der kürzlich verstorbene Grafiker und Karikaturist in den 1970er Jahren die deutschen Volkslieder für das bis heute weit verbreitete Volksliederbuch mit dem Anliegen illustriert hat, den Deutschen mit Bildern einen neuen unverkrampften, offenen und lustvollen Zugang zum gemeinsamen Singen in seiner ursprünglichen Lebendigkeit und Freiheit zu eröffnen.
Bild und Lied – die können also einander beflügeln, verstärken, interpretieren. Die Gefahr des Missbrauchs bleibt jedoch bestehen und es liegt in der Verantwortung der Menschen, die Sensibilität dafür wach zu halten.

Wie Melodien die Sprache „tragen“ und in der Erinnerung bewahren können, erfahren wir alle, wenn wir uns noch nach Jahrzehnten an gesungene Texte in gebundener Sprache erinnern können. Und in der Begegnung mit alten Menschen erleben wir dieses Phänomen besonders deutlich. Dabei wirkt die Musik nicht isoliert, sondern als Begleitung und Eigenschaft von klingender gebundener Sprache, durch Reim und Rhythmus und durch die Emotionen, die durch Klang besonders intensiv angeregt werden. Für die besondere Gabe der Lauterkennung bei kleinen Kindern ist das von besonderer Bedeutung beim Spracherwerb und kann durch die Einbeziehung von Liedern zu Themen und Geschichten spielerisch unterstützt werden.

Klang und Melodien haben etwas zu erzählen. Sie erweitern unser Repertoire an Kommunikations- und Ausdrucksformen. Und sie wecken die Lust und Neugier am genauen Hinhören und kreativen Spielen – verbunden mit Sprache und Bildern.

Verbunden mit dem bildgestützten Erzählen bieten sich zum Singen besonders die Erzählkarten zu Liedstrophen an wie z.B. zu Grün, grün, grün“ oder zur „Vogelhochzeit“.
Zu letzterem wiederum lässt sich – neben vielen anderen – auch eine französische Übersetzung singen, so dass sich hier auch die Form des zweisprachigen Singens im Wechsel anbietet.
Die einfache Struktur des Liedes erlaubt außerdem das Erfinden von neuen Strophen und das Gestalten von Bildern. Um hier die Satzbildung zu erleichtern und nicht durch das Suchen nach Reimen in fremder Sprache zu erschweren, kann das Formulieren von neuen Ideen auf die erste Zeile beschränkt bleiben und der Reim wandert in die zweite Zeile und wiederholt sich bei jeder neuen Strophe, z.B. so:
„Die Taube schenkt ein grünes Blatt
und alles, alles klingt und singt: Fiederalla….

Französischer Text zur Vogelhochzeit (auch in Verbindung mit den Bildkarten):
https://www.mamalisa.com/?p=267&t=fs&c=38

Tipp: Die Seite www.mamalisa.com ist insgesamt eine Fundgrube für das mehrsprachige Singen von Liedern aus verschiedenen Ländern

Zugleich habe ich mich während der Reise auch auf die Suche gemacht nach traditionellen französischen Liedern, die speziell in der Region Lothringen bzw. Frankreich ihren Platz und ihre eigene Geschichte haben.
Zu nennen ist dabei besonders ein in Lothringen tradiertes Nikolaus-Umzugslied, das an die Nikolaus-Legende von den drei Kindern im Fass anknüpft und untrennbar mit der kulturellen Bedeutung der seit dem Mittelalter gefeierten Nikolaus-Tradition in Lothringen verbunden ist:

Infos zur Tradition: https://www.swr.de/-/id=10675482/property=download/nid=100722/1pw3izd/fmh-20121204-lothringen.pdf

Nikolaus-Lied: http://www.musicanet.org/robokopp/french/ilsetaie.htm

Zum Vergleich verschiedener Festkulturen: http://kinderkiste.dfjw.org/fileadmin/user_upload/L_annee_en_fete/Lannee_deutsch_Web.pdf

Zu Ostern wiederum sind Osterhasen-Geschichten und Lieder hier zwar nicht unbekannt. Von größerer Bedeutung ist jedoch die Geschichte von den Glocken, die drei Tage vor Ostern schweigen, nach Rom fliegen und dann zum Fest der Auferstehung von dort zurückkehren und auf ihrem Flug die bunten Eier fallen lassen. Auch davon klingt etwas an in französischen Osterliedern.

Bilder erzählen Geschichten. Geschichten finden Ausdruck durch Lieder. Und Menschen verbinden und verständigen sich in verschiedenen Sprachen damit. Die Möglichkeiten, diesen Prozess immer wieder mit neuen Farben, Formen und Tönen zu bereichern, scheinen unerschöpflich.

Susanne Brandt

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt