Aus dem Reisetagebuch: Luft im Gepäck


Februar 2019

Manchmal habe ich Zweifel, ob es gut ist, sich immer wieder zu neuen Zielen auf den Weg zu machen, mitunter jede Woche anderswohin zu reisen, an wechselnde Orte.
Meistens geht es für mich dabei um Musik und Sprache, um gemeinsames Lernen, um eine fachliche und menschliche Verbundenheit, die sich über Stadt- und Ländergrenzen hinaus entwickelt und auf die persönliche Begegnung und Vermittlung angewiesen ist.

In müden Momenten fühlt sich die dabei übernommene Verantwortung bedrängend an, verursacht schon mal schlaflose Nächte, wenn die Gedanken im Kopf nicht zur Ruhe kommen, das Herz hinterher hechelt und das Gefühl entsteht, ganz viel gleichzeitig schultern zu müssen.

Ich vermute, dass es vielen ähnlich geht, wenn im Kalender die Termine immer dichter zusammenrutschen, jede Aufgabe doch eigentlich mal mit Überzeugung zugesagt worden ist, jetzt aber unter Druck zu geraten droht.

Dann wird es Zeit, ein Fenster zu öffnen und durchzulüften.
Das gibt dem verengten Blick eine neue Weite und bringt frischen Wind in das routinierte Planen und Sorgen.
Für mich persönlich sind dabei drei Entdeckungen wichtig geworden:

Im Gepäck muss Luft bleiben!

Natürlich muss bei solchen Reisen manches an Material mit in den Rucksack, um am Ziel verlässlich zur Hand zu sein. Das beruhigt. Aber neben dem sorgfältig Zurechtgelegten gehört eben auch eine gute Portion “Nicht-Wissen” dazu – Luft, die Raum lässt für das Unplanbare.
Das Reisen wird begleitet von Gespanntheit, wenn ich mir nicht zu sicher darin bin, wie sich meine Erfahrungen und das, was ich vermitteln möchte, auf den Reisen und durch die Begegnungen bewähren und verändern werden.
Im Ungewissen liegt die Chance der unverhofften Möglichkeit. Manchmal ist Mut gefordert, sich dem auszusetzen. Daran kann ich wachsen. Deshalb bleibt das Gepäck besser luftig und klein, die Lust am Improvisieren und Dazulernen aber groß. Das bringt Bewegungsfreiheit ins Spiel – und schon den nächsten Gedanken:

Die Bewegung des Reisens braucht ihre Zeit

Der oft weite Reiseweg gibt all jenen Gedanken und Ideen eine Chance, die ohne diese Reise vermutlich nie entstanden wären – vorausgesetzt, ich reise wirklich und bin nicht nur von da nach dort unterwegs: Unterwegssein muss oft schnell gehen. Reisen nicht unbedingt. Da sind auch Zwischenstationen erlaubt und willkommen – überhaupt alles was zur Entschleunigung beiträgt: auf längeren Strecken mit der Bahn, auf kurzen Strecken zu Fuss, Verzögerungen und Planänderungen inbegriffen…
Auch und gerade für berufliche Reise ist es nicht die Schnelligkeit, die auf nachhaltige Erkenntnisse hoffen lässt, sondern die Chance des Vor- und Nachdenkens in der Be-Wegungs-Zeit beim Kommen und Gehen. Da geschieht die nötige Vertiefung und Reflexion. Erfüllung ist vielleicht das richtige Wort dafür – und manchmal auch schöpferische Muße.

Erfüllung und Muße stellen sich nur dann ein, wenn Herz und Seele mitkommen

“Geh, wohin dein Herz dich trägt” taugt als Buchtitel wie auch als Reisemotto. Denn wo das möglich ist, da wird die dafür aufgebrachte Energie nicht als Verlust empfunden, sondern als ein Fluss, der auf Reisen neu gespeist werden kann.

Gut möglich, dass die Zweifel in müden Momenten irgendwann wiederkommen.
Aber die hilfreichen Gedanken auch: Ist das Gepäck luftig genug? Lässt sich das Reisen ohne Zeitdruck planen? Geht es um eine Herzenssache?
Das bleiben für mich die wichtigsten Reisebegleiter und -vorbereiter, die nach ehrlichen Antworten fragen. Vielleicht auch nach Veränderungen. Alles, was beim Reisen sonst noch nötig ist, ergibt sich daraus.

Susanne Brandt

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Flensburg oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt