Sonntagsmomente: Und eines Tages…

Advent, Weihnachten, Neujahr, Dreikönige…die Feiertage liegen hinter uns und ich habe den stürmischen Nachmittag zuhause dazu genutzt, meinen Schreibtisch aufzuräumen. Ein großer Stapel an Briefen und Karten hatte sich da die letzten Wochen angesammelt – viele sehr berührende und persönliche Grüße von nah und fern. Jedes Teil habe ich mir heute nochmal in aller Ruhe vorgenommen,  diesem oder jenem einen Platz in meinem Zimmer gegeben. Die drei weisen Männer auf Wanderschaft zum Beispiel, die stehen jetzt leuchtend rot gleich neben meinem Arbeitsplatz.

Und eines Tages (von Kindern der Grundschule Völlen)

Sie werden dort wohl ein ganzes Jahr lang bleiben – und zugleich in meinen Gedanken hin und her spazieren. Mit einem dicken Brief von den Kindern der Grundschule Völlen in Ostfriesland fanden sie den Weg hierher – Zeichen einer Verbundenheit, die sich in der Zeit von 2000 bis 2010 durch gemeinsame Buchprojekte entwickelt hatte und bis heute auf die eine oder andere Weise weiterlebt. Das kreative Drucken von eigenen Texten und ganzen Büchern mit beweglichen Lettern gehörte dazu…und gehört weiterhin zur ästhetischen und sozialen Bildungsarbeit dieser außergewöhlichen Schule. Daran lasse ich mich gern immer wieder erinnern.

Wichtig ist mir die Karte als Impuls in meinem täglichen Blickfeld auch deshalb, weil sie zugleich Ruhe und Unterwegssein zum Ausdruck bringt: Die Drei scheinen es nicht eilig zu haben. Auch wird hier offenbar Zukünftiges und Gegenwärtiges gleichermaßen mit eingeschlossen in die ruhige Gewissheit: „Und eines Tages sind sie am Ziel“.

Ich mag solche Geschichten von langen Wegen und Wanderschaften. Weil mir die Erfahrung des Unterwegsseins lieb und vertraut ist. Und weil es mir von Jahr zu Jahr wichtiger wird, sich dabei in Gelassenheit zu üben. Ein Ziel vor Augen zu haben, ist motivierend. Das Unterwegssein hat viel mit Beweglichkeit, mit überraschenden und lebendigen Begegnungen zu tun. Lichtpunkte gehören dazu – wie der Stern über den drei Weisen.

Und eines Tages…das meint kein Verschieben und Vertrösten auf ein fernes, unerreichbares und unverbindliches Irgendwann. Das hat untrennbar mit dem zu tun, was ich schon erlebt habe und was aktuell dran ist. Sich immer wieder zu fragen und bewusst zu machen, wie es weitergeht – dazu lädt dieses gelassene „Und eines Tages sind sie am Ziel“ der drei Weisen ein. Nicht als Beschleunigung und Rastlosigkeit! Aber auch nicht als Resignation und Stillstand im Sinne von „Das bringt doch eh nichts. Das führt zu nichts und es wird sich sowieso nichts ändern!“

Die drei Weisen stehen und gehen für etwas anderes: für die Überwindung von Gewaltherrschaft, für die Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit, für ein unermüdliches „Und doch!“, für ein mutiges und ganz gegenwärtiges „Und eines Tages“, das mit jedem Tag, mit jedem Schritt beginnen kann:

Bindung und Weite (Foto: Susanne Brandt)
Was war und was wird
will weiter
wohnt glühend und heiter
in meinem Gespür
 
bleibt lebendig im Wort
schreibt sich fort und fort
fürchtet Leidenschaft nicht
wird Gesang und Gedicht
fragt beharrlich nach
hält die Sehnsucht wach

 

Susanne Brandt

P.S.: Einen Tag, nachdem ich den obigen Text geschrieben habe, entdeckte ich einen Kommentar von Heribert Prantl, der ebenfalls die drei Weisen in den Mittelpunkt stellt. Er spricht mir darin mit seiner Vision von einem „Dreikönigsweg“  aus der Seele, so dass ich den Text hier zum An- und Weiterlesen empfehle.

Zitat: „Die neue Deutung der Dreikönigs-Geschichte könnte also sein: Man findet Gott nicht im Wettlauf und nicht im religiösen Wettkampf; man findet ihn miteinander. Jeder König hat sein Schicksal hinter sich. Jeder kennt den Fundamentalismus in sich, den Glauben, die alleinige Wahrheit gepachtet zu haben. Jeder weiß, wie aus Monotheismus heiliger Nationalismus wird, der schlimmer war und ist als der politische […] Der Dreikönigsweg aber zeigt: Man findet Gott im Reden mit den anderen und in der gemeinsamen Suche; manchmal muss dabei auch einer auf den anderen warten. Das zu Lehren ist die Aufgabe der Religionen. Ein gemeinsamer Aufstand der Religionen gegen einen anmaßenden Terrorismus, der im Namen Gottes auftritt – er wäre ein Megaprojekt zur Befreiung von Angst und zur Befriedung der Menschen.“

Der vollständige Text ist hier nachzulesen: http://www.ndr.de/info/sendungen/kommentare/Reichtum-der-Kulturen-muss-Europa-praegen,islam286.html

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt