Buch-Tipp: „Die verkrustete Erde atmet auf“. Die Magie von Tanz und Poesie in „Fräulein Esthers letzter Vorstellung“

Foto: Brandt, aus: „Fräulein Esthers letzte Vorstellung“

Auf den ersten Blick wirkt das neue Janusz Korczak-Buch „Fräulein Esthers letzte Vorstellung“ aus dem Gimpel  Verlag dunkel und rätselhaft. Erdige Töne, wenig Licht, aber dann: „…dann kommt Lutek mit seiner Geige und dieser Melodie…Plötzlich ist alles da…Fuß und Bein, Hand und Arm, Kopf und Brust…Sie tanzen ihren Tanz. Frei. Schwebend. Ohne mich. Ich schließe die Augen und sehe ihn…Seinen Adlerkopf, die roten Schwingen…Tief unter ihm – man erkennt sie kaum – unser Haus, die Mauer. Er fliegt weg. Weit, weit weg, ohne sich umzuschauen. Unter seinen Federn, ich sehe ihre Köpfe – Tola, Felunia, die anderen…“

Foto: Brandt, aus: „Fräulein Esthers letzte Vorstellung“

Beim genauen Hinsehen – oder besser: beim Eintauchen in die verborgene Leuchtkraft dieses Buches scheint das Dunkel der Erde aufzubrechen. „Die verkrustete Erde atmet auf“, stellt Janusz Korczak beim Gießen der Blumen auf der Fensterbank fest.

Foto: Brandt, aus „Fräulein Esthers letzte Vorstellung“

Es sind elementare Berührungen mit der Natur, es sind die immer wieder einander zugesprochenen Geschichten und es sind die Bewegungen, die durch die Magie des Tanzes in einem spürbar werden und die von der so außergewöhnlichen Poesie dieses Buches herrühren. Besonders ist auch die Gestaltung:   In den Büchern des Gimpel Verlags findet man keine weißen Stellen und  keine standardisierten Buchstaben, jede Seite wird anders gestaltet. Die Schrift ist Teil der Bildgestaltung, was das Lesen spürbar verlangsamt. Und genau das ist der richtige Weg, um sich der Geschichte einfühlsam und bedächtig zu nähern!  Es geht um die letzten Tage im jüdischen Waisenhaus  des Pädagogen Janusz  Korczak. Im Mittelpunkt steht eine Tanztheateraufführung  der Kinder von Tagores „Postamt“. Es geht um kindliche Fantasie,  Spielfreude und unverhoffte Energie in einer Zeit, in der der Tod schon vor der Tür hockt. Diese  Spannung gilt es auszuhalten.

Foto: Brandt, aus: „Fräulein Esthers letzte Vorstellung“

Und dieses Buch ist eine beeindruckende  Hilfe dabei – warmherzig,  zärtlich, ehrlich und tröstlich-traurig  zugleich. Für die nahe Zukunft sind Begleitmaterialien zum Buch angekündigt, die  dann auch als Download zur Verfügung stehen. Schon jetzt bietet diese Seite des Autors vielfältige Informationen zum Hintergrund der Geschichte: http://www.krochmalna92.com/

Ein mutiges Buch – und eine  überzeugende Ermutigung für Menschen und Büchereien, sich  auch mal auf Bücher einzulassen, die Zeit und Einfühlungsvermögen  brauchen!

Adam Jaromir / Gabriela Cichowkska: Fräulein Esthers letzte Vorstellung. Gimpel Verlag, 2013, ISBN 978-3-981-130089

Susanne Brandt

Weitere Beiträge zu Janusz Korczak auf diesem Blog sind hier zu finden: http://waldworte.eu/?s=Korczak

 

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt