Waldworte international

Unsere serbische Schwesterbibliothek machte uns anlässlich der gemeinsamen Aktionen zum Internationalen Jahr der Wälder auf eine dort bekannte Geschichte aufmerksam, die wir hier in einer deutschsprachigen Nacherzählung wiedergeben: von ökologischen Zusammenhängen erzählen – das gelingt in allen Sprachen und mit vielerlei methodischen Zugängen auch und gerade in den Bibliotheken der Welt!


Der alte Baum

Es lebte einst ein König, der hatte einen schönen Garten. In der Mitte des Gartens stand ein prächtiger Apfelbaum. Im Frühjahr leuchtete der Baum in den hellen Farben der rosa Blüten. Im Sommer wuchsen die Früchte zwischen grünen Blättern heran und im Herbst waren die saftigen Äpfel reif für die Ernte. Jeden Tag kam der König in den Garten, um von den Äpfeln zu essen. Er war gesund und es ging ihm gut dabei.

Nach Jahren aber fing der Baum an, schwach zu werden. Seine Früchte wurden kleiner und waren bald nicht mehr so süß und saftig wie früher. Nach einem strengen Winter wollte er gar keine Frucht mehr hervor bringen.

Das machte den König sehr traurig. Er befahl seinem Gärtner, den Baum zu fällen. Im gleichen Moment aber fiel auch der König auf sein Lager, wurde krank und mochte nicht wieder auf die Beine kommen. Kein Arzt im großen Reich kannte eine Medizin, die ihm helfen konnte.

Der Gärtner holte Werkzeug, um das zu tun, was der König ihm befohlen hatte.     Da landete ein Vogel zu seinen Füßen und zwitscherte: „Lass den Baum stehen und schlage ihn nicht ab. Viele Insekten leben in dem alten Holz. Stirbt der Baum, so gibt es hier bald auch keine Insekten mehr. Womit soll ich dann meine Jungen füttern?“

Der Gärtner versprach, sich die Sache durch den Kopf gehen zu lassen. Doch Befehl ist Befehl. Am nächsten Tag brach er wieder auf, um den Auftrag des Königs endlich zu erfüllen

Da sprang ihm ein Eichhörnchen in den Weg und bettelte: „Bitte, bitte, lass den Baum dort stehen, wo er ist. Wir brauchen hier jeden Baum, um unsere Vorräte für den Winter zu lagern. Sonst müssen wir bei Kälte vor Hunger sterben.“ Der Gärtner zögerte. Aber was konnte er machen gegen das Wort des Königs?

Er wollte abermals die Axt an den Stamm setzen, als ein Schwarm Bienen den Baum umschwirrte: „Schlag ihn nicht ab,“ summten die Bienen. „Auch für uns ist der alte Baum noch immer kostbar, um darin unsere Nester zu bauen. Gern lassen wir den König dann auch von unserem heilsamen Honig kosten.“

Der Gärtner ließ die Axt liegen und ging zum König, um ihm von den seltsamen Stimmen am Baum zu erzählen. Der öffnete kurz seine Augen und antwortete mit matter Stimme: „Dann lass den Baum stehen“.

Es dauerte nicht lange, da schenkten die Bienen dem König tatsächlich etwas von ihrem Honig. Jeden Tag nahm er nun ein Löffelchen davon. Und nach wenigen Wochen war er wieder ganz gesund.

Frei nacherzählt nach überlieferten Motiven und Aufzeichnungen von Ruth Hürlimann

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt