„In der Dämmrung lebten auch fremde Wesen im Baum“ – eine Kindheit im Flensburger Norden

Gartentreppe im Flensburger Norden, Foto: Susanne Brandt

Die Gedenktafel an der Wand eines einfachen Hauses im Flensburger Norden erinnert noch daran: Hier wurde die Dichterin Emmy Ball-Hennings (1885-1948) geboren, hier verbrachte sie ihre Kinder- und Jugendtage – und wer die Gegend kennt und dazu ihre Erinnerungen an diese Zeit in dem Buch „Blume und Flamme“ liest, ahnt, wie es dem hochsensiblen und fantasiebegabten Mädchen aus dem Arbeitermilieu der grauen Vorstadt ergangen sein muss:

In dem kleinen Garten hinterm Haus erträumte sie sich ein Paradies und die Wolken am Küstenhimmel weckten schon früh ihre Sehnsucht nach Freiheit, die sie später auf vielen verschlungenen Wegen durch die Welt immer wieder suchte – und vielleicht nie wirklich fand. Im Rückblick auf die Jahre Ende des 19. Jahrhunderts schreibt sie:

„Langsam tauchen die ersten frühen Bilder aus meiner Kinderzeit auf, und ich sehe zunächst eine kleine ungepflasterte Straße, weit draußen im Vorort der kleinen Hafenstadt. Eigentümlich verschollen wirkt diese Gegend, einsam, als wäre hier die Welt zu Ende, oder als wäre sie am Anfang, denn irgendwo muß sie doch beginnen…

Wolkenhimmel am Flensburger Hafen

Kinder spielen im Kreis und sagen einander, dass der Himmel heut so niedrig hängt und dass man vielleicht bald auf Gewölk gehen könne. Auf Gewölk? Es gibt Wolken, die weiße Schwäne sind und sich dann in ein Boot verwandeln, das eine Weile im Blauen schwimmt, und dann ist plötzlich alles fort. Sieht man nach oben, ist alles weich und weiß, fließend und blau. Sieht man nach unten, verändert sich rein gar nichts. Da bleibt die Erde dunkel und still (S.12/13) […] Vom Schlafstubenfenster aus sah ich vierjährig, wie sich die Zweige leise bewegten, ohne dass man hätte entdecken können, was es war, das die Zweige bewegte. Sie wollten nur grüßen, und ich bewegte dann die Hände ähnlich wie der Zweig. Meine Arme rauschten sachte hin und her, und wenn Mutter mich einmal bei solchem Tun überraschte, war es nicht leicht zu erklären, warum ich den Baum grüßte. Und in der Dämmrung lebten auch fremde Wesen im Baum.“ (S.30)
Aus: Emmy Ball-Hennings: Blume und Flamme. Geschichte einer Jugend. Köln, 1938

In dieser Publikation nachzulesen unter dem Titel „Und immer werde ich wiederkommen“: persönlicher Rückblick auf das Leben von Emmy Ball-Hennings, nachgezeichnet von Susanne Brandt

Ebenso zum Thema in diesem Blog:

Haus mit Himmel und Paradies. Gartenimpression aus der Flensburger Nordstadt Ende des 19. Jahrhunderts

 

Zum Weiterlesen:

Zwei Publikationen zu ihrem Leben und Werk haben im Sommer 2013 die Aufmerksamkeit neu auf ihr Leben und Werk gelenkt und laden nicht nur in Flensburg dazu ein, auch ihre älteren, längst vergriffenen Bücher wieder neu zu lesen:

Eine Annäherung an Emmy Ball-Hennings versucht die Klang-Collage:
Das Märchen ist zu Ende
Digipack mit 3 CDs, 12 S. Booklet. mit zahlr. Abb.
ISBN 978-3-941940-17-8

Detail-Infos zu den CDs: http://www.edition-apollon.com/index.php?option=com_content&view=article&id=92:das-maerchen-ist-zu-ende
Rezension: http://www.zeit.de/2013/06/Hoerbuch-Emmy-Hennings-Das-Maerchen-ist-zu-Ende
Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=Cv66lfvMI-c

Und eine kleine bibliophile Neuausgabe einer Auswahl ihrer Gedichte ist neu erschienen unter dem Titel: Hochaufgetürmte Tage im Verlag hochroth

Detail-Infos zum Buch: http://www.hochroth.de/3193/3193/
Rezension: http://www.fixpoetry.com/feuilleton/kritiken/emmy-ball-hennings/hagen-schied/hochaufgetuermte-tage
Leseprobe: http://issuu.com/buchwaerts/docs/emmy_hennings_hochaufget__rmte_tage
 

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt