Auch Schafe haben manchmal kalte Füße…genauer gesagt: Hufe. Gut, wenn es Ideen gibt, um daran etwas zu ändern.
So bei Hendrika: Die hat nämlich herausgefunden, dass Wintertage mit Schnee und Frost hoch oben in einem Baum besser zu überstehen sind als unten auf dem vereisten Boden. Herausgefunden hat sie dabei zugleich, wie es immer leichter gelingt, als Schaf einen Baum zu erklimmen. Denn auch Hendrika will nicht tagelang allein da oben bleiben, sondern kehrt hin und wieder zu ihrer Herde auf der Wiese zurück.
Dort allerdings wird die Kletterei des Schafes eher skeptisch betrachtet: Ein Schaf, das auf Bäume krabbelt? Das hat’s ja wohl noch nie gegeben! Sowas gehört sich einfach nicht.
Doch Hendrika lässt sich nicht beirren. Unermüdlich schafft sie Dinge heran, die das Leben im Geäst des Baumes noch schöner machen – nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere, die sie gern zu einem Besuch in ihrem Winterquartier einlädt.
Und endlich trauen sie sich doch – die Schafe unten auf der Weide. Eines nach dem anderen beginnt damit, das Klettern einfach mal auszuprobieren. Und siehe da: Es klappt! Nicht immer gleich und nicht immer ganz leicht – aber am Ende sieht sogar der Herden-Papa ein, dass Hendrikas Idee gar nicht so schlecht ist. So baut er für all jene, die etwas mehr Hilfe brauchen, um nach oben auf den Baum zu kommen, noch einen Aufzug dazu.
Und während es im Baum immer gemütlicher wird, beginnt Hendrika damit, kleine Socken für kalte Schafhufe zu stricken. Obwohl Schafe ja eigentlich nicht stricken können. Wenn man aber eine gute Idee hat…
Das Besondere an dieser herzerwärmenden Wintergeschichte, die eine sympathisch andere Farbe ins Meer der vielen klischeehaften „Glitzergeschichten“ für die Advents- und Weihnachtszeit bringt, ist die ausdrucksstarke Bildsprache: Kontrastreich fokussiert auf den verzweigten Baum im stetigen Wandel, der sich scherenschnittartig von dem sich ebenfalls im Tageslauf wandelnden Winterhimmel abhebt, entwickeln die Doppelseiten neben der Geschichte eine ganz eigene Dynamik. Denn hier lassen sich weitere Details entdecken, die über den Text hinausweisen: Welche Rolle spielen die beiden Gänse in dem Geschehen? Wie verändert sich der Baum mit jedem Umblättern? Da gibt es für die Betrachtenden so viele spannende Details zu entdecken, dass sich die Geschichte beim Schauen schon fast von allein erzählt – vielleicht immer wieder ein bisschen anders als im Text festgehalten.
Aber wenn man eine gute Idee hat…
Tine Mortier hat sich bereits mit dem Bilderbuch „Marie und die Dinge des Lebens“ eine eindrucksvolle Geschichte rund um einen Kletterbaum einfallen lassen. Wie sie stammt auch die Illustratorin Charlotte Severeyns aus Flandern. In Belgien ist das Bilderbuch bereits 2022 erschienen.
Fazit: Ein wunderbares Winterbuch, dass auch nach Weihnachten noch reizvoll bleibt und Kindern wie Erwachsenen über mehrere Jahre immer wieder neue Lesarten und Deutungen entlocken kann. Auch zum Nachspielen, ins Gespräch kommen und zu vielfältigen kreativen Umsetzungsideen kann die Geschichte inspirieren.
Tine Mortier / Charlotte Severeyns: Hendrika. Das Schaf, das auf einen Baum kletterte. Carl Auer Verlag, 2025


