Das Edaphon als Basso Continuo…und andere Impulse aus dem Buch “Musik und Klima”

Was haben Regenwürmer mit dem Klimawandel zu tun? Und warum sollten sich gerade Kultur- und Musikschaffende für diese Frage interessieren?

Überraschende Perspektiven, Verbindungen und Hintergründe aus einer forschenden, experimentierfreudigen und vor allem erfahrungs- und austauschreichen Musikpraxis im Kontext von gesellschaftlichen und ökologischen Fragen tun sich hinter dem sachlichen Titel “Musik und Klima” auf.  Und schon nach den ersten Seiten merkt man diesem Buch an, dass es bei dem Autor Bernhard König über drei Jahrzehnte gereift und gewachsen ist.

Ein schneller Wurf mit einer großen Vision als Hingucker – das hätte nicht zu seinem Anliegen gepasst. Denn Beschleunigung in der Produktion, im Verbrauch wie im Austausch erweisen sich hier ebenso als Teil des Problems wie jedes „Weiter so“ im Streben nach maximaler Aufmerksamkeit und Reichweitensteigerung, von der die aktuelle Kultur- und Musikbranche in vielerlei Hinsicht geprägt ist.

Der reichen Quellengrundlage mit mehr als 50 eng gedruckten Seiten Literaturverzeichnis stehen 18 Kapitel gegenüber, die bei den Lesenden ein immer tieferes Nachdenken über die Klimakrise (auch) als ästhetische und soziale  Herausforderung anregen und dabei das Bewusstsein für vielfältige Verstrickungen sensibilisieren, in die wir mit unserer Musik- und Kulturpraxis geraten sind.

Und mit jedem Kapitel wird deutlich, wie stark sich dabei die verschiedenen Disziplinen und Forschungszweige berühren und beim Weiterdenken in Richtung Zukunft nur miteinander betrachtet werden können – was eine grundlegende Veränderung und Öffnung in der Kulturpolitik hin zu einer bewussteren und kreativen Verknüpfung mit sozialen, ökologischen und interkulturellen Aspekten bedeuten würde.

Und je weiter man sich (langsam und mitdenkend!) durch dieses Buch bewegt, desto konkreter erschließen sich zum Ende hin die vielfältigen und alltagstauglichen Handlungsmöglichkeiten auf der Basis seiner jahrzehntelangen Praxis und Recherche.

„Können wir uns ändern?“

Gewiss unvollständig, subjektiv von mir ausgewählt und verkürzt dargestellt möchte ich dazu hier nur einige Impulse aus den beiden hinteren Abschnitten des Buches zu der abschließenden Frage „Können wir uns ändern?“ herausgreifen, die neben anderen zum Weiterdenken für eine veränderte bzw. verändernde Haltung und Praxis inspirieren:

  • Eine Musik, die dann als besonders wertvoll angesehen wird, wenn sie sich – gern gepaart mit hohen ethischen Zielen – als „Botschafterin der Weltreichweite“ darstellt, nimmt expansive Züge mit in Kauf. Umso mehr geraten z.B. ortsgebundene wie indigene oder regionale Musikkulturen aus dem Blick und gelten nach dem Maßstab urbaner Hochkultur häufiger als uninteressant oder künstlerisch irrelevant. Das mag nach ästhetischen Maßstäben hier oder da nachvollziehbar sein, wäre aber aus der Perspektive des Klima- und Artenschutzes fatal.

 

  • Nein, solche Perpektivwechsel ebnen nicht etwa den Weg für eine romantisierende Forderung nach einem „Zurück in die Vergangenheit“ und hinein in eine „provinzielle Enge“, sondern weiten vielmehr hochaktuell und zukunftstrelevant den Blick für das, was nach dem Wachstum kommt und sich in großer Vielfalt zeigen kann.

 

  • Wir werden dafür neue Qualitätskriterien brauchen für ideelle Werte, die sich entkoppeln von einem wachsenden Energieverbrauch und mit einer veränderten Haltung einher gehen – statt die vermeintliche Antwort allein in technologischen Lösungen zu suchen. Hier passt ein Zitat von Hartmut Rosa im Sinne seiner Resonanz-Theorie: „Nicht die Reichweite, sondern die Qualität der Weltbeziehung sollte zum Maßstab politischen wie individuellen Handelns führen.“

 

  • Bei aller Unsicherheit genauer Zukunftsprognosen: Wir werden einander brauchen! Eine wirksame Klimapolitik muss deshalb alle Dimensionen des Menschseins mit einbeziehen. Zivilgesellschaftliches Engagement kann dazu beitragen, auf diese Mehrdimensionalität in vielfältiger Weise aufmerksam zu machen.

 

  • Dazu gehören z.B. im Blick auf unsere gestörte Naturbeziehung: eine deutlchere Verknüpfung von Klima-, Natur- und Kulturgeschichte, eine größere Aufmerksamkeit für zwischenartliche Kommunikation und das Bewusstsein von einer „Atemgemeinschaft“ zwischen Pflanzen, Menschen und Tieren.

 

  • Dazu gehört auch: das Edaphon als Basso Continuo des Lebens zu begreifen und diese Gesamtheit der Bodenorganismen stärker in seiner Gefährdung durch Artenschwund wie in seiner buchstäblich grundlegenden Bedeutung für das Klima wahrzunehmen.

 

  • Eine Musik- und Kulturpraxis, die sich von Wachstums- und Reichweitenzwängen befreit, kann umso mehr die Vielstimmigkeit in der eigenen Umgebung entdecken und teilen und dabei stärker inter- und transdisziplinär, inklusiver und mit wechselseitiger Gastfreundschaft unterschiedliche Weltbilder und Schönheitskonzepte in ein Zusammenspiel bringen.

 

  • Die bereits in vielen Bildungsplänen verankerte Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) steht zwar konzeptionell für einen solchen fächerübergreifenden und ganzheitlichen Ansatz, hat aber bislang nicht dazu geführt, Musik, Tanz und Theater stärker mit den deutlich dominanteren ökologischen Initiativen zu verknüpfen. Mehr als Wissensvermittlung müsste hier die Bedeutung von Mündigkeit und gestalterischer Phantasie, die sich durch kulturelle Bildung ganz besonders entfalten, in den Fokus rücken.

 

  • Das alles miteinander bedacht, kann den Blick auf die musikalische Laien- und Regionalkultur grundlegend hin zu einem suffizienten Musikleben verändern im Sinne einer kulturellen Selbstermächtigung und regionalen Selbstversorgung in ihrer ganzen Vielstimmigkeit. Das wiederum trägt zu einer verbesserten Nachbarschaftskultur und Inklusion bei – bis hin zu einer Naturbeziehung,  in der  man sich als Mensch verbunden mit dem „Atem“ der nicht-menschlichen Mitwelt weiß.

 

  • Daneben könnten sich auch die großen Konzert- und Opernhäuser hin zu offenen Begegnungsorten entwickeln, mehr Verantwortung für den eigenen Nahbereich übernehmen und den kulturellen Reichtum der Stadt widerspiegeln – ganz im Sinne einer stärkeren Teilhabegerechtigkeit.

Die Reihe an Ideen, Impulsen und Perspektiven, die Bernhard König für dieses Buch auf mehr als 500 Seiten (finanziell ermöglicht durch ein Stipendium der Andrea von Braun Stiftung und weiteren Preisgeldern) so fundiert und vielschichtig zusammengetragen und sprachlich facettenreich gestaltet hat, ließe sich noch lange fortsetzen.

Möge es zum Standardwerk überall dort werden, wo kulturpolitische Entscheidungen wichtige Weichen des Wandels stellen könnten. Und möge es das lebendige Weitererzählen bei allen Menschen anregen, die sich davon in ihrem kulturellen Engagement mit anderen beflügeln lassen.

Susanne Brandt

Bernhard König: Musik und Klima. Kreative Lösungen, nachhaltige Praktiken und inspirierende Geschichten für eine bessere Zukunft. Oekom, 2024. 520 S. SBN.  978-3-9872610-9-1 36,00 Euro.

 

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt