Nach dem Sturm: Leben mit dem Meer

Seegras und Algen hängen noch in den Ästen der Bäume. Zwei Meter hoch. Dahinter das Meer – spiegelglatt und still im sanften Licht des Abends. Kaum vorstellbar, dass hier vorgestern noch ein Jahrhundert-Sturm die Ostsee in eine wilde Flut verwandelt hat. Die Kraft der Wellen war so groß, dass Bäume am Ufer entwurzelt und Wege weggerissen worden sind. Der entstandene Sachschaden ist enorm, ganz besonders in den Yachthäfen, auf Campingplätzen und in gastronomischen Betrieben, die nah am Wasser liegen.

Vorsicht war geboten. Stürme sind unberechenbar und können durch stürzende Bäume lebensgefährlich sein. Von der Flut selbst aber ist auch beim höchsten Wasserstand in Flensburg keine unmittelbare Bedrohung für Leib und Leben ausgegangen. Vieles an Besitz und Sachwerten konnte geschützt werden. Traditionssegelschiffe wie die bald 1oojährige „Dagmar Aaen“ und ihr Schwesterschiff haben die Sturmflut im Hafen zum Beispiel gut überstanden. Arved Fuchs berichtet davon in einer aktuellen Folge von seinem Podcast „Expedition Ocean Change“.

Eine Ostseeflut ist anders

Ein gewisser Schutz für die Bevölkerung ist in Flensburg auch durch die geografische Lage gegeben: Mit den Hängen auf beiden Uferseiten liegen selbst die relativ wassernahen Wohngebiete größtenteils schon etwas erhöht „am Berg“ und werden von den Überschwemmungen, mit denen man hier jedes Jahr erneut rechnen muss, nicht erreicht. Auch kommt eine Ostseeflut nicht völlig überraschend, so dass man in gefährdeten Tieflagen noch Zeit hat, um einige Vorkehrungen zu treffen. Und nach dem Höhepunkt zieht sich das Wasser schnell wieder zurück. Vergleiche mit anderen Überschwemmungen von katastrophalem Ausmaß wie etwa im Ahrtal oder an der Elbe wären für die Auswirkungen hier in keiner Weise angemessen.

Was bleibt unverfügbar?

Eine Ostseeflut ist anders und sie verändert sich – vermutlich auch durch Einflüsse des Klimawandels, der den Meeresspiegel steigen und die Stürme heftiger werden lässt. Damit gilt es nun, weiterhin am Meer zu leben und aus den Erfahrungen mit diesen Veränderungen zu lernen, vielleicht selbst wiederum eigene Vorstellungen und Erwartungen zu ändern: Was können wir präventiv verbessern? Wie können Hilfen und Schutz für Menschen gestaltet werden, die durch solche Ereignisse große materielle Verluste erfahren? Und was bleibt unverfügbar?

Bei mir persönlich wächst mit solchen Ereignissen vor allem der Respekt vor der Kraft des Meeres. Und bei allen Schäden, die hier an Bauten und Dingen entstanden sind – ich spreche bewusst nicht von Gewalt, weil ich den Begriff Gewalt angesichts der aktuellen Kriege und Terrorangriffe mit einem ganz anderen Aggressionspotential verbinde. Das Meer wendet sich nicht aggressiv gegen das Leben. Es ist ein Teil unseres Lebens.

Vom raschen Wechsel geprägt

Respekt vor der Kraft des Meeres – das heißt für mich: Wir lernen das Meer und seine Kräfte kennen, immer wieder anders und nie so, dass wir es nach unseren Wünschen in Schranken weisen könnten. Es ist geprägt vom raschen Wechsel: Ebbe und Flut, Sturm und Flaute, Kommen und Gehen. So war es immer schon und so bleibt es auch. Wir können an das Meer keine Ansprüche stellen, es nicht besitzen und so nutzbar machen, wie es für uns am Schönsten wäre. Das gilt es zu respektieren.

Das Leben mit dem Meer ist beglückend, gefährlich und gefährdet, wohltuend und schmerzlich zugleich. Und auch wenn unsere Möglichkeiten der Einflussnahme begrenzt sind – unsere Verantwortung bei der weiteren Entwicklung des Lebens mit dem Meer ist nicht gering.
Respekt üben heißt eben auch: begreifen, was ich tun und lassen kann, um das Meer als einzigartigen Lebensraum zu achten. Denn Schutz vor dem Meer heißt zugleich Schutz für das Meer.

Susanne Brandt

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt