Die Gedenktafel an der Wand eines einfachen Hauses in der Steinstraße im Flensburger Norden erinnert noch daran: Hier wurde die Dichterin Emmy Ball-Hennings (1885-1948) geboren. Hier verbrachte sie ihre Kinder- und Jugendtage – und wer die Gegend kennt und dazu ihre Erinnerungen an diese Zeit in dem Buch “Blume und Flamme” liest, ahnt vielleicht, wie es dem hochsensiblen und phantasiebegabten Mädchen aus dem Arbeitermilieu zwischen Werft und Nordertor ergangen sein mag. Zum Beispiel in der Adventszeit.
Ein Ahnen – denn in das, was Emmy in den 1930er Jahren über ihre Kindheit Ende des 19. Jahrhunderts niedergeschrieben hat, mischte sich im Rückblick wohl oft ein Wünschen, wie es hätte sein können – so warm, geborgen und behütet. Es wird für sie im Hause ihrer Eltern auch viele harte Tage und Jahre gegeben haben.
Das Träumen aber gehört zum Wesen ihrer Texte, in denen sich die Grenzen zwischen Phantasie und Wahrheit schwer ausmachen lassen. Mit gefühlsintensiven Ausschmückungen gerät sie oft ins Schwärmen, verliert sich manchmal selbst dabei:
„Ich bin die kleine Unscheinbare,
die sich verirrt in Gassen fand,
die sich verlor ins Wunderbare,
in dir, du Lied der jungen Jahre,
das stets in meiner Seele stand.“
Und Joseph arbeitet in der Zimmerei nebenan
Das mag auch für ihre adventlichen Phantasien gelten, die in der Erinnerung an das Leben in der Nordstadt um 1895 Wunderbares aufleuchten lassen – so wunderbar, dass sie am liebsten das Jesuskind mit seinen Eltern dort im Werftarbeiter-Viertel beherbergt hätte.
Wie wäre es gewesen – so malt sie sich aus – wenn Jesus dort am Rande der Apenrader Straße zur Welt gekommen wäre? In dem Kapitel „Advent“ stellt sie sich das bilderreich und ganz praktisch vor: mit der vertrauten blauen Bettdecke für das Kind, mit Tellern für gemeinsame Mahlzeiten, die man sich bei den Nachbarn hätte leihen können. Sogar um eine Arbeitstelle für Joseph in der benachbarten Zimmerei des Onkels hätte sie sich mit kindlicher Fürsorge gekümmert. Wenn, ja wenn…
Wie soll ich dich empfangen?
Das liebste „Lied der jungen Jahre, das stets in ihrer Seele stand“ hieß im Advent: „Wie soll ich dich empfangen?“. Es wurde – so ihre Erinnerungen – in der Schule gesungen und es begleitete sie, wenn sie nachmittags bei früh einbrechender Dunkelheit unter dem Sternenhimmel durch die Straßen von der Schule beim Nordertor nach Hause ging.
„Der Stern behielt die Menschen im Auge“ – so dachte sie, wenn sie das tröstliche Zeichen am Flensburger Himmel betrachtete. Und sie stellte sich vor, wie der gleiche Stern auch über dem Stall von Bethlehem gestanden und die drei Weisen begleitet hatte.
Neben dem Lied und dem Stern war es vor allem diese Geburtsgeschichte, die in ihrer Phantasie so wärmende Bilder weckte. Und es war das Erzählen der Mutter, durch das sie davon erfuhr – am warmen Ofen in der Dämmerstunde:
„Bei uns im Wohnzimmer glühte und wärmte das Feuer. Die Ofentür war geöffnet und wir saßen um den Ofen und sahen in die schönste Glut. Die Lampe war noch nicht angezündet. Mutter liebte es, uns Kindern in der Dämmerung zu erzählen, und man sah und dachte nichts anderes als an die wundersame Geschichte von der Geburt Jesu.“
Viele Fragen musste die Mutter dazu beantworten: Warum die Familie in eine solche Not geraten war? Warum niemand sie davor bewahrt hatte – auch Gott nicht? Und warum sie am Ende sogar fliehen mussten?
Da erzählte die Mutter dem Kind vom Gastsein auf Erden. Und von der Unergründlichkeit des Himmels. Und weil beim Himmel das Erklären ein Ende hat, antwortete sie mit einem weiteren Lied: „Vom Himmel hoch“.
Auch das wird wohl in der Seele von Emmy Hennings einen Platz gefunden haben.
Susanne Brandt
Die Erinnerung „Advent“ von Emmy Ball-Hennings ist nachzulesen in „Blume und Flamme. Geschichte einer Jugend“, aufgeschrieben 1938 in der Schweiz.
Zum Weiterlesen: https://buecherstadtkurier.com/und-immer-werde-ich-wiederkommen/