Am Ende eines Jahres wird der Blick gern auf die Zukunft gerichtet. Es werden Hoffnungen thematisiert, vielleicht Prognosen gewagt – gute wie schlechte. Es werden auch Ängste geäußert, vielleicht Verunsicherungen und Stillstand beschrieben. Was gibt es zu tun? Wie kann es weitergehen? Und worauf sollen sich Hoffnungen überhaupt richten, wenn das alte Modell vom Wachstum als Zielrichtung nicht mehr taugt?
Solche und ähnliche Fragen beschäftigen mich in diesem Jahr nicht erst jetzt, da die stillen Tage nach Weihnachten das Nachdenken darüber vermehrt zulassen. Zukunftsperspektiven in Verbindung mit Fragen nachhaltiger Entwicklung waren seit Sommer 2017 ein (nicht nur) berufliches Schwerpunktthema für mich, durchaus von gemischten Gefühlen begleitet. Nicht unproblematisch ist das Thema für mich deshalb, weil es zu meinen Aufgaben gehört, Perspektiven einer Bildung für nachhaltige Entwicklung speziell für Kinder zu entwickeln. Da aber halte ich es gern mit Janusz Korczak, dem das „Recht des Kindes auf den heutigen Tag“ wichtig ist – was nach meinem Verständnis nicht vorrangig heißen kann, das kindliche Denken und Lernen auf eine Zukunft zu lenken, von der heute niemand sicher sagen kann, wie diese in vielleicht 20 Jahren aussehen wird. Was also brauchen Kinder heute, um daraus Ermutigung und Vertrauen fürs Leben zu schöpfen?
Ambivalent ist das Thema Nachhaltigkeit und Zukunftsgestaltung für mich im beruflichen Kontext außerdem, weil es im bibliothekarischen Diskurs vor allem vereinnahmt wird, um die Bedeutung von Informationsvermittlung und –kompetenz besonders hervorzuheben. Was aber bewegen Informationen tatsächlich? Sind wir nicht längst überinformiert und dadurch schon viel zu weit entfernt von unserem Vertrauen in sinnliche Erfahrungen und intuitive Entscheidungen? Da wirken andere Stimmen auf mich viel glaubwürdiger, die die Rolle von Informationen im Blick auf Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Mitgestaltung eher nachrangig einordnen und vielmehr an den Möglichkeitssinn erinnern. Denn dieser ist – so glaube ich – in jedem Menschen angelegt, aber oft verschüttet , fast erstickt unter dem Übergewicht von Zwängen, Erfolgserwartungen und eben auch Informationen, die keinen spürbaren Anschluss mehr finden an gemeinschaftliche Formen der lebendigen Mitgestaltung und Verwandlung.
Jürgen Manemann, Theologe und Philosoph gibt treffend zu bedenken:
„Wo werden Räume eröffnet, in denen Menschen echte Veränderungsprozesse erleben, deren aktiver Teil sie sind? […] Wissen und Informationen allein motivieren uns noch lange nicht zu veränderndem Handeln. Aus diesem Grund müssen wir den Mut aufbringen, Erkenntnis und Erfahrung wieder miteinander zu verbinden. Denn wir wissen viel und fühlen immer weniger […] Ohne die Erfahrung von Veränderung gibt es keinen Möglichkeitssinn und keine Hoffnung.“
Dabei ist die hier gemeinte Hoffnung nicht mit Optimismus zu verwechseln.
Manemann: „Anders als Optimismus lässt Hoffnung Angst nicht nur zu, sie ist ohne Angst gar nicht vorstellbar. Denn wie will man für den Anderen hoffen, wenn man nicht gleichzeitig um ihn Angst hat? Wer hofft, besitzt auch eine Erkenntnis davon, dass Hoffnungen scheitern können.“
Die Rede ist hier von einer Hoffnung, die nicht allein eigennützige Ziele und Erwartungen im Blick hat. Eine solche Hoffnung erfüllt sich nicht dadurch, dass etwas gut ausgeht. Vielmehr findet die Hoffnung ihre Erfüllung in der Erfahrung, gerade auch in Angst und Enttäuschung weiterhin Sinn für möglich zu halten. Das aber gelingt nur, wenn diese Hoffnung über die eigenen Interessen, Vorteile und Ziele hinaus hoffen lässt, also mit einer umfassenden Blickrichtung auf das gemeinsame Leben geschieht.
Manemann: „Wer hofft, der hofft nicht weniger als alles. Hoffnungen sind deshalb Garanten dafür, dass die großen Fragen, die Menschheitsfragen, nicht vergessen werden.“
Eine so verstandene Hoffnung ist immer auch politisch. Weil das Politische uns von seiner eigentlichen Bedeutung her mit dem Ganzen konfrontiert. Auch wenn wir Politik oft in ihrer Beschränkung, in ihrer mitunter missbräuchlichen Nutzung als Macht- und Interessenpolitik erleben – ihre Aufgabe ist es, sich auf das Ganze auszurichten und gemeinwohlorientiert zu sein. Eine Hoffnung, die sich auch als eine politische Hoffnung zu erkennen gibt, zielt darauf ab, das Leben humaner zu machen und zu erhalten. Als solche wirkt sie nicht belehrend, beruhigend oder vertröstend, sondern aktivierend.
Für den Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton lauten diese von der Hoffnung durchdrungenen Menschheitsfragen: „Was ist Gerechtigkeit? Was ist Liebe? Was ist Freiheit? Was ist Glück?“
Mit dem Streben nach mehr Wachstum lassen sich diese Fragen nicht beantworten. Auch nicht mit mehr Informationen. Wohl aber mit einer Hoffnung, die sich sinnlich und lebendig der Gefährdung, der Begrenzung wie der Möglichkeit der Veränderung aussetzt und sich von den erstaunlichen Verbindungen zwischen Erkenntnis und Erfahrung immer wieder neu überraschen und ermutigen lässt.
Und damit sind wir dann auch wieder beim Recht des Kindes – und aller Menschen – auf den „heutigen Tag“ angekommen: bei dem Recht, von einer solchen Hoffnung jeden Tag zu erfahren – durch Zuwendung, durch Liebe, durch Freiheit, durch Ermutigung. Und vielleicht auch: durch die Sprache der Kunst wie durch die Bildkraft von Geschichten, die davon erzählen.
Susanne Brandt
Zur Quelle der Zitate:
Jürgen Manemann, Prof. Dr., Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover. Seine Arbeitsschwerpunkte sind neben Fragen der politischen Theologie, Umweltphilosophie und neue Demokratie und Politiktheorien.
Zum Weiterlesen: http://www.ndr.de/ndrkultur/sendungen/glaubenssachen/gsmanuskript1026.pdf