Viele Menschen sind nach Deutschland geflohen, weil sie hier auf eine demokratische Verfassung hoffen, die ihre Menschenrechte und Menschenwürde wahrt und Menschen vor Verfolgung, Diskriminierung und staatlicher Willkür schützt. Daraus ergibt sich eine gegenseitige Achtung und Verantwortung, die immer noch viel zu oft als einseitige Bringschuld „uns“ gegenüber missverstanden wird. Denn wir haben uns im Alltag nicht weniger dieser Verantwortung zu stellen, erleben unser eigenes Scheitern und dürfen nicht kleinreden, wie leicht Menschenrecht und Menschenwürde im Dschungel bürokratischer Hürden aufs Spiel gesetzt werden. Auch wir sind dabei oft auf Ermutigung angewiesen – durch Menschen, die mit ihrem Mut zu uns gekommen sind.
Blickwechsel auf Augenhöhe: Was bewegt mich – was bewegt dich?
Was wir als gemeinsame Verantwortung im Sinne eines menschenwürdigen Miteinanders jeden Tag neu üben können, ist eine Kultur des gegenseitigen Zuhörens und des Dialogs auf Augenhöhe. Dazu gehören Respekt, Feingefühl und Achtung vor dem, was Menschen mitbringen und einbringen in unser Leben: ihre Erinnerungen, ihre Lebensleistungen und enormen Kompetenzen, ihr Gelingen und Scheitern, ihre Ängste und Hoffnungen, ihren Glauben, ihre Sehnsucht und ihren guten Wille, etwas verändern zu können. Dazu gehört ebenso, dass wir visionäre und ermutigende Ideen und konkrete Handlungsmöglichkeiten, die wir miteinander entdecken können, nicht durch pessimistische Prognosen, Vorurteile und „schlechte Erfahrungen“ schmälern und abhängig machen von wechselnden medialen Stimmungsmachern.
Über gemeinsame Erlebnisse und Bilder ins Gespräch kommen
Gelegenheiten zum gegenseitigen Zuhören können sich nahezu jeden Tag und überall im Alltag ergeben – wenn wir diesen Alltag offen und einander zugewandt leben. Erfreulich ist es, wie viele Begegnungsorte in den letzten Monaten entstanden sind, an denen sich inzwischen eine lebendige Kultur des Miteinanders entwickelt hat, die der Bezeichnung „Dialog und Engagement auf Augenhöhe“ wirklich gerecht wird. Erfreulich ist es zu erleben, wie z.B. im gemeinsamen Fußballspiel eine große Chance liegt, auf der Basis gemeinsamer Freude und sportlicher Leidenschaft auch ohne viele Worte miteinander vertraut zu werden. Erfreulich ist so vieles, was deutlich macht, wie es gelingt, einander etwas mitzuteilen, voneinander zu lernen und nicht nur „für die anderen“ etwas zu tun.
Eines von vielen kleinen Beispielen dafür ist auch das Fotomaterial „Was mich bewegt“, das gut bei Begegnungssituationen wie „Dialog in Deutsch“ oder Sprachpatenschaften unterstützend zum Einsatz kommen kann: http://www.donbosco-medien.de/was-mich-bewegt/t-1/2800
Ein Einblick in die Entstehung der Karten: https://www.youtube.com/watch?v=MccoNuKSmHs
Dabei macht sich bemerkbar, dass bei der Entwicklung dieses Materials unbegleitete minderjährige Flüchtlinge selbst mitgearbeitet haben. Sie haben Fotomotive und Impulse zusammengestellt, die dazu einladen, sich jenseits von theoretisch geführten politischen und gesellschaftlichen Diskussionen zu unterschiedlichen Wahrnehmungen, Erfahrungen und Lebenswirklichkeit auszutauschen: Was erträumen sie sich – und wovon träume ich? Welche Werte begegnen ihnen in unserem Land, die sie wert-voll finden – und was bedeuten mir diese Werte? Was verbinden sie mit Kochen und Essen – und wie gehe ich mit solchen „Mitteln zum Leben“ um? Bald wird im Verlauf solcher Gespräche deutlich, dass es nicht um ein „ich und die anderen“ geht, sondern um verschiedene Facetten eines Lebens, das uns gemeinsam am Herzen liegt. So tragen die 32 stabilen Fotokarten, versehen mit inspirierenden Fragen und Aussagen von Geflüchteten aus verschiedenen Teilen der Welt konkret dazu bei, wirklich miteinander zu sprechen und nicht länger übereinander Vermutungen anzustellen.
Ich persönlich habe z.B. durch Gespräche zu den Bildern tiefe Einblicke in Alltag und Geschichte von Afghanistan erhalten und einmal mehr erfahren, wie groß der Erfahrungsschatz ist, an dem geflohene Menschen uns teilhaben lassen können – und wie klein unser Mut und unsere Fantasie manchmal sind, um darin echte Chance für eine gemeinsame Gestaltung der Zukunft zu erkennen.
Susanne Brandt