Immer wieder den Blickwechsel wagen. Gedanken zum Welttag der humanitären Hilfe 2016

Humanitäre Hilfe
Menschen bewegen  / Foto: namentlich nicht bekannter Fotograf, Hamburg 1980er Jahre

Keine Frage: Humanitäre Hilfe ist in vielen Situationen das einzige, was das Leben von Menschen retten und ihrer Würde einen gewissen Schutz bieten kann. Helfende, die dafür bis an die Grenzen ihrer Kraft gehen, geben etwas weiter, was sich nach keinem Maß beziffern und vergleichen lässt.

Eine Frage, die wir uns als Zuschauende stellen müssen, wenn wir jeden Tag durch die Medien von der Not in Krisengebieten erfahren: Was sehen wir da wirklich? Warum gehen Bilder von toten und verletzten Kindern um die Welt, bei denen vermutlich niemand sein Einverständnis dafür geben konnte, dass alle Welt sie so sieht? Brauchen wir solche Bilder, um uns das Leid zu vergegenwärtigen? Um uns vorstellen zu können, wie wichtig die humanitäre Hilfe dort aktuell ist? 

Ist uns dabei bewusst, dass zur gleichen Zeit in anderen Teilen der Welt ebenfalls großes Elend herrscht – auch wenn Bilder davon gerade nicht in den Medien präsent sind?

Und lenkt die akute Not, die uns durch solche Bilder emotional mit großer Wucht treffen kann, möglicherweise vom Nachdenken über die Ursachen, Verstrickungen und nötigen Reformbemühungen ab, weil mit dem Verschwinden der Bilder aus den Medien auch das wachsende Bewusstsein für die Hintergründe der Notlage schnell wieder aus unseren Köpfen verschwindet? Oder machen uns gerade diese Bilder sensibler dafür?

Was angesichts all dieser Fragen NICHT passieren darf: das eine gegen das andere auszuspielen. Die Frage nach Ursachen und nötigen Reformen darf die akut nötige Hilfe nicht schmälern – und umgekehrt!

Was NICHT passieren darf: angesichts der unfassbar großen Not, in der manche Spenden und Maßnahmen wie ein Tropfen auf dem heißem Stein wirken, gar nicht erst anzufangen. Denn wenn nicht immer wieder neu damit begonnen wird, wenigstens an EINER Stelle, wenigstens für EINEN Menschen, wenigstens für EIN Projekt hilfreich zu wirken, bekommt die Dürre in unserem weltweiten Zusammenleben EINE Chance mehr, sich weiter auszubreiten.

Was NICHT passieren darf: Menschen in Not bewusst oder unbewusst allein in ihrer hilfsbedürftigen Situation wahrzunehmen, ohne zugleich ihre starke Persönlichkeit und ihre Würde zu achten, ohne zugleich selbstkritisch eigene Schwächen zu erkennen. Viele wechselseitige Prozesse spielen hier eine Rolle: Es gibt Hilfe, mit der in der akuten Situation genau das Richtige im richtigen Moment getan wird. Es gibt Notsituationen, die Helfende an ihre Grenzen bringen. Es gibt Verhaltensänderungen und neue Einsichten, die durch Erfahrungen mit anderen Menschen erst entstehen können. Es gibt eine Würde, die bei keinem Menschen verletzt werden darf. Auch nicht durch Bilder.

Susanne Brandt

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt