Kindergeschichten und Bilderbücher über Gefühle gibt es reichlich. Die meisten kommen sehr absichtsvoll und “pädagogisch korrekt” daher. Diese Geschichten sind ganz anders: nicht nur poetischer und origineller in der Sprache, sondern vor allem irritierend, unberechenbar, mit überraschenden Wendungen und Endungen – so, wie es jeder und jede mit den eigenen Gefühlen eben auch erleben kann. Wut ist nicht gleich Wut und das Gegenteil von Wut ist wieder etwas anderes… Genau diese Auseinandersetzung mit dem Undurchschaubaren bietet wunderbare Denk- und Gesprächsanlässe. Ich habe eine kleine Kostprobe daraus einer Gruppe mit 4-5jährigen Kindern vorgelesen (“Der Igel”) und am Ende nur die vier dunklen Nachtwald-Seiten auf die Kinder wirken lassen. Auch wenn das Buch eigentlich erst ab 6 Jahre empfohlen wird – in Auswahl und mit Offenheit für mögliche Anschlussgespräche können auch jüngere Kinder Zugänge zu einzelnen Geschichten finden. An diesem Nachmittag haben die Kinder offenbar sehr genau gespürt, dass die eigentlich ganz friedlich endende Geschichte mit dem Punkt hinter dem letzten Satz noch lange nicht abgeschlossen ist. Die sich anschließende, geheimnisvoll und etwas unheimlich anmutende Nachtwald-Bilderfolge ohne Worte steht in einer intensiven Spannung zum zufriedenen Einschlafen des Igels. Es war den Äußerungen der Kinder deutlich anzumerken, wie sehr sie sich davon anrühren ließen, Bezüge zu eigenen Erfahrungen entdeckten, Ideen entwickelten, wie es mit dem Igel in und nach dieser Nacht weitergehen könnte… Gerade weil so vieles in diesen Geschichten nicht glatt und rund aufgeht, wirkt es so glaubwürdig und bringt den Kindern mit ihren eigenen Gefühlen aufrichtigen Respekt und ein tiefes Verständnis entgegen. Für ältere Kinder und Erwachsene lassen sich zudem noch viele philosophische Zwischentöne herauslesen. Man wird nicht so schnell fertig mit diesem Buch. Wie schön!