Aus der Slowakei: Morgenlied für Kalinka

Schon seit einigen Monaten mache ich mir Gedanken über neue spielerische Zugänge beim Erzählen mit Puppen, Figuren, Materialien – kurz gesagt: Es geht um „Geschichten zum Anfassen“, um sinnliche, bewegte und bewegende Erfahrungen mit Sprache und Geschichten, die unkompliziert und überall – drinnen wie draußen in der Natur – lebendig werden können. Damit all die dazu nach und nach zusammengetragenen Ideen auch hier im Blog einen leicht auffindbaren Platz bekommen, gibt es eine neue Kategorie unter der Überschrift „Geschichten zum Anfassen“.  Und es gibt im Februar ein erstes Seminar dazu…

Erzählfigur aus der Slowakei von Soňa Mrázová

Wie bei allen Themen, habe ich auch für dieses über den Tellerrand geschaut, bin in anderen Ländern auf Entdeckungsreise gegangen und in der Slowakei fündig geworden – bei den Figuren der Künstlerin Soňa Mrázová, die ich bei meinem Besuch in Bratislava im November gefunden habe: http://www.sonamrazova.szm.com/

Das besondere an diesen Figuren sind die guten Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten der Arme und Beine wie auch der einzigartige Charakter eines jeden Exemplars, das als Unikat entstanden ist. Viele Möglichkeiten, über die Puppe mit den Kindern in einen Dialog zu kommen, lassen sich damit entwickeln. Dazu gehört auch die Frage, wie die Figur zu Beginn überhaupt „ins Spiel“ gebracht wird, wie sie „aufwacht“ und so den Kindern Zeit schenkt, sich damit vertraut zu machen. Anregungen für einen Text, der dabei – begleitet durch spielerische Bewegungen der Figur – zum Einsatz kommen kann, habe ich wiederum im slowakischen Volksgut gefunden, in überlieferten „Neckversen“, die für die Bauweise des nachfolgenden Textes die Idee geliefert haben: So wie sich dort die Handlung in einer dialogisch gestalteten Kette von Motiv zu Motiv weiterspinnt, wurde hier nun mit anderen inhaltlichen Akzenten eine kleine „Morgenszene“ meiner Kalinka aus Bratislava förmlich „auf den Leib geschrieben“. Und das geht dann so:

Morgenlied für Kalinka

Psst, schau, Kalinka schläft noch!
„Kalinka, hörst du mich?
Gleich schnapp ich mir Dein Füßchen
und kitzel Dich!

Und hab ich dich gekitzelt,
dann wird es höchste Zeit,
dass Du Dich erst mal ausstreckst –
ganz lang und breit.

Und streckst du Dich zum Himmel
bis hoch zum Wolkendach
wird dort in seinen Kissen
der Regen wach.

Und fällt ein großer Regen
auf Felder, Stadt und Land,
dann bau ich Dir ein Schiffchen
mit meiner Hand.

Und ist die Hand ein Schiffchen
und schaukelt hin und her,
dann schenke Du mir Wellen
vom großen Meer!

Für Deine Wiege-Wellen
vom Meer, so weit und groß
lass ich mit großem Brausen
den Sturmwind los.        (pusten)

Und will der Wind dann tanzen,
dann tanze einfach mit.
Am schönsten wär’s, wir tanzen
zu dritt!

Susanne Brandt
(inspiriert von einem slowakischen Neckgedicht für eine slowakische Puppe aus der Werkstatt von Soňa Mrázová)

Zum Weiterlesen: Zum Thema „Geschichten zum Anfassen“ gibt es auch einen Abschnitt  in dem ebenfalls neuen Buch „Leseförderung in Öffentlichen Bibliotheken“ (s. 4.5.3 Figuren- und Objektspiel).

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt