Natur erleben & Geschichten erzählen. Gedanken zu einer lebendigen Beziehung

Wie wirkt die Natur in das Werden und Erleben von Geschichten hinein? Und wie verändern Geschichten die Sensibilität und Vorstellungskraft für naturkundliche Zusammenhänge? Seit mehr als 20 Jahren begleiten mich diese Fragen in vielfältigen Variationen und laden zum Perspektivwechsel ein.

20 Jahre Natur & Erzählen

Aktuell liegt mir eine Initiative zur Konzeption und Planung eines Naturerlebnisraumes rund um den Tremser Teich im Lübecker Norden am Herzen. Das Gebiet gehört zu einem Landschaftsschutzgebiet und könnte in Verbindung mit dem benachbarten Naturerlebnisraum Fackenburger Landgraben noch deutlicher als achtsam zu erkundender Naturraum am Rande des dicht bewohnten Stadtteils ins Bewusstsein der Menschen gebracht werden. Auch in diesem Prozess stellt sich neben vielen Erfahrungs- und Mitmach-Möglichkeiten ganz konkret die Frage: Wären Erzählformen hier eine Option? Mit einem Erzählweg? Mit einem Erzählkreis unter der alten Ulme? Welches Format passt zum Bedarf im Stadtteil? Und welches nicht?

Noch ist offen, was aus all den Vorüberlegungen am Ende der gemeinsamen Ideenentwicklung tatsächlich wird. Spannend aber bleibt, wie und warum immer wieder neu eine Verbindung zwischen Naturraum und Erzählen vorstellbar ist – und zu interessanten Lösungen inspiriert.

Dabei ist zunächst beides jeweils sorgfältig für sich zu betrachten: der Naturraum mit seinen besonderen Eigenschaften, ökologischen Chancen und Gefährdungen, Nutzungsinteressen und Begrenzungen auf der einen Seite und die narrative Vermittlung von Geschichten und Themen mit Naturbezug durch die Wahl einer dafür geeigneten Methode auf der anderen Seite. Eine Verbindung will gut überlegt sein und das Gelingen in der Praxis hängt von vielen Faktoren ab.

Zu einer echten wechselseitigen Verbindung gehört, dass der Naturraum nicht einfach als „Bühne“ oder schöne Kulisse für die Präsentation von Geschichten aufgefasst wird, sondern buchstäblich miterzählt. Das sinnlich-bewegte Wahrnehmen an diesem besonderen Ort findet eine Beziehung zur Sprache, Vorstellungskraft und Fantasie und ermöglicht auf diese Weise ein Naturerlebnis, bei dem die teilnehmenden Menschen eine aktive Rolle einnehmen.

Mit Worten spielen – Imagination und Weltbeziehung durch „Wildwuchsgeschichten“ heute

Das alles setzt voraus, dass Menschen in ihrem Wohnumfeld solche Naturräume auf kurzen Wegen überhaupt für sich entdecken, erreichen und begehen können – zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Da in unmittelbarer Nähe auch Menschen mit Rollstuhl bzw. mit eingeschränkter Sehfähigkeit leben, spielen hier Möglichkeiten zum Barriereabbau ebenfalls eine wichtige Rolle.

Zum Engagement für das Erzählen in der Natur gehört also zunächst die Frage, wo solche Orte zu finden sind, wie sie sich behutsam im Einklang mit dem, was hier wächst und lebt, erleben lassen und was getan werden muss, damit Menschen aller Generationen sich unkompliziert auf den Weg dorthin machen können.

NER_Leitfaden

Ein paar Worte zur Begrifflichkeit: „Naturerlebnisräume“ – darunter versteht man “grüne Freiräume” in besiedelten oder siedlungsnahen Bereichen, in denen Kinder (aber ebenso Menschen jeden Alters) eigene Erfahrungen mit den Elementen der Natur auf sinnliche und spielerische Weise sammeln können. Seit 2010 ist die Bedeutung von Naturerlebnisräumen ausdrücklich im Bundesnaturschutzgesetz verankert und hervorgehoben.

Allein in Schleswig-Holstein gibt es aktuell rund 50 anerkannte und geförderte Naturerlebnisräume. Nach dem Landesnaturschutzgesetz gilt für sie kein eigener Schutzstatus, wohl aber eine umweltpädagogische Bedeutung von hohem Stellenwert. Zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich vor Ort – gern in Kooperation mit vielen Beteiligten – dafür einsetzen, werden bei dieser Aufgabe unterstützt und übernehmen zugleich eine Mitverantwortung bei der Gestaltung und Weiterentwicklung.

naturerlebnisraeume

Eine vielfältige und spannende Aufgabe für alle, die sich gern kooperativ und naturverbunden engagieren! In der hiermit neu eröffneten Kategorie zu „Naturerlebnisräumen“ auf www.waldworte.eu werden zur Inspiration zukünftig immer mal wieder Ideen und Impulse dazu veröffentlicht.

 

Susanne Brandt, im Mai 2024

 

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt