Kinderbücher von Wasser, Weite und Meer – das ist ein Thema, das mich seit vielen Jahren in unterschiedlichen Varianten beschäftigt und begleitet. Vielleicht nicht verwunderlich, wenn man als Bibliothekarin und Autorin am Meer lebt. Aber immer wieder neu, anders, spannend und für Entdeckungen gut!
Besonders intensiv und wissenschaftlich erfolgte diese Beschäftigung im vergangenen Jahr unter dem Motto „Hinaus in die Weite“ für einen fachlichen Austausch beim interdisziplinären Forum „Die Vermessung der Sachbuchwelt“ an der Internationalen Jugendbibliothek (München)– wie in diesem Bericht nachzulesen: http://kinderundjugendmedien.de/index.php/sonstiges/1084-die-vermessung-der-sachbuchwelt
Die regelmäßige Sichtung von Neuerscheinungen auf diesem Gebiet findet u.a. ihren Ausdruck in Rezensionen für http://www.literaturboot.de/tag/kinderbucher/ , mit denen zugleich ein wachsender Überblick mit aktuellen Titeln speziell zu diesem Thema gegeben wird.
Im eigenen Schreiben zeigt sich die Liebe zum Genre „Meer & Küste“ in Büchern wie „Hörst du die Muscheln tuscheln“, „Wie gut, dass Mia Möwen mag“, „Flaschenpost von Puk“ u.a.
Aber am allerwichtigsten bleibt das Anliegen, einige von diesen so ganz verschiedenen Büchern zum Thema von unterschiedlichen Autoren immer wieder mit Kindern gemeinsam zu entdecken!
Eine Vorlesestunde Anfang Mai in der Stadtbibliothek Flensburg bot dazu kürzlich Gelegenheit:
Etwa 12 Kindern im Alter zwischen 4 und 7 Jahren hatten sich zu den Geschichten vom Wasser als offenes Angebot am Nachmittag unter dem Motto „Pfütze, See und Meer“ eingefunden. Manche von ihnen waren vielleicht noch gar nicht so lange in Flensburg zu Hause und neugierig auf Wörter und Geschichten in deutscher Sprache. Einigen Äußerungen zufolge waren sie wohl mehrfach auch vertraut mit Reisesituationen, mit Abschied, Aufbruch und Ankunft, mit Angst vor dem Ungewissen und Freude am Entdecken. Welche Geschichten zum Thema laden zum Ausprobieren ein in einer so gemischten Gruppe?
- Die Textlängen der einzelnen Geschichten sollten so bemessen sein, dass sie viel Luft zum Schauen und Nachfragen lassen.
- Eine klare Sprache in kurzen Sätzen, gestützt durch die Bilder, hilft allen beim Verstehen.
- Spannung hält das Interesse wach.
- Was da erzählt wird, berührt die Erfahrungswelt der Kinder, nimmt sie mit ihren eigenen Sehnsüchten und Hoffnungen ernst, schafft Raum und Weite zum Weiterdenken.
Meine Wahl fiel vor dem Hintergrund solcher Überlegungen auf „Wo die Schaluppen glitzern“ von Nele Moost und Jutta Bücker, „Pinguin gefunden“ vom Oliver Jeffers und „Osman, der Angler“ von Anne Hofmann.
Wie und mit welchen Gefühlen solche Geschichten verstanden und empfunden werden – dazu muss sich kein Kind äußern. Aber wer etwas sagen möchte, bekommt Gelegenheit dazu. Das Vorlesen wird mehr als Dialog gestaltet: ein Stück Text, dann folgt ein Innehalten, vielleicht eine offene Frage. Auch einfach mal Schauen und Schweigen gehört dazu. Einige der Kinder reagieren spontan und gern auf die eine oder andere Frage:
Was Schaluppen sind? (zum Bilderbuch „Wo die Schaluppen glitzern“) – „Das weiß ich aus meinem Piratenbuch!“ (Und er erklärte es den anderen Kindern auch gleich!)
Was es in einer türkischen Hafenstadt alles zu sehen gibt? (zum Bilderbuch „Osman, der Angler“) – „Kenn ich! Da war ich auch schon mal!“
Was man für eine lange Reise in den Koffer packen sollte? (zum Bilderbuch „Pinguin gefunden“) – „Genügend Essen natürlich – und eine Zahnbürste!“
Die drei ausgewählten Bilderbücher scheinen die Kinder auf unterschiedliche Weise zu berühren, beschreiben jeweils die Spannung zwischen der Sehnsucht nach dem Vorhersehbaren und Vertrauten einerseits und der Neugier auf Überraschendes und Unverhofftes andererseits. Alle drei Geschichten erzählen in unterschiedlicher Weise von Geduld. Nie löst sich die Spannung sofort. Es gilt, auch schwierige und ungewisse Zeiten zu durchleben. Am Ende aber macht sich Erleichterung breit. Das Wagnis ist gelungen, eine Lösung gefunden, der lange Weg hat zu einem Ziel geführt – wenn vielleicht auch anders als erwartet.
Von all dem erzählen diese (und viele andere!) Bücher vom Meer. Von all dem können vielleicht auch die Kinder aus ihrem Leben erzählen. Genauer gesagt: Sie müssen es gar nicht immer direkt erzählen, sondern können ihre Erfahrungen mit den Geschichten verbinden, sich mittragen lassen vom Wasser und die Erfahrung machen, nicht darin zu versinken, sondern Neues und Ermutigendes daraus zu schöpfen.
Ich werde auch weiterhin im großen Büchermeer fischen gehen, von Zeit zu Zeit neue Titel an Land ziehen, um den einen oder anderen gemeinsam mit Kindern zu entdecken. Es ist spannend, was für Dimensionen sich im Dialog dabei auftun können. Ich lasse mich gern immer wieder selbst dabei überraschen. Und ich ahne, dass die Weite des Meeres auch in dieser Hinsicht keine Grenzen kennt.
Susanne Brandt