Am Ufer der Moldau: Parks und alte Gassen. Kleiner und ruhiger als im großen Prag ist es hier. Dabei malerisch und belebt auf eine sehr natürliche Art (zumindest außerhalb der Hochsaison). Ein guter Ort, um gern auch für ein paar Tage hier entspannt Station zu machen. Wir lassen uns Zeit zum Lesen, Entdecken, Wahrnehmen. Bei den Recherchen zu Böhmen stoße ich auf eine interessante Initiative, die in dieser Region unterwegs ist: Pilgrim – Wanderuniversität der Natur.
Der geistige Austausch einer pulsierenden Universitätsstadt, eine anregende Atmosphäre fürs Literarisch-künstlerische und einsame Landschaften in endlos scheinender Ausdehnung liegen hier nah beieinander.
Alles das mag auch bei „Pilgrim“ eine Rolle spielen: eine Bürgervereinigung, die sich der Pflege barrierefreier Landschaften und der Vertiefung der Beziehung zwischen Mensch und Erde widmet. Ihr Gründer oder Mitbegründer, so meine Recherchen, ist Jiří Zemánek, ein Kunsthistoriker, Kurator, Publizist und Kulturaktivist. Er interessiert sich für die Überschneidungen von Kunst und Ökologie, Kosmologie und Spiritualität sowie für die Herausbildung einer neuen integralen Kultur.
In einem seiner Texte über das Pilgern im Sinne der Wanderuniversität heißt es: Beim Wandern sollten wir versuchen, das zu vergessen, was wir irgendwie intellektuell vorweg wissen, unsere gewohnten Bewertungen der Wirklichkeit. Das eröffnet uns mehr Chancen, in die sinnliche Wirklichkeit hineingezogen zu werden, sie als lebendige Gegenwart wahrzunehmen, ihr wirklich zu begegnen, von ihr überrascht zu werden und ihr Wunder zu spüren…Das bedeutet, Teilnehmer statt bloßer Zuschauer oder desinteressierter Beobachter zu werden, mit der natürlichen Welt, die mich umgibt und einschließt, eine echte “Bindung” (von diesem Begriff leite ich den Begriff Pilgerschaft ab), eine Partnerschaft einzugehen. Für ihn bringt das die Ethik des Pilgerns auf den Punkt, wie sie David Abram am besten so ausgedrückt: “Wir sind nur menschlich im Kontakt und in der Gemeinschaft mit dem Nichtmenschlichen.” Das einfache Gehen kann dabei ein transformatives Potential entwickeln.
Andere aus der Gemeinschaft der Wanderuniversität betonen die damit verbundenen Aspekte wie Poesie und Kunst. Und sie verweisen und besinnen sich auf Denkende, Wirkende und Wandernde in anderen Teilen der Welt: auf den Club of Budapest, auf Andreas Weber (Deutschland) zum Beispiel oder auf die Texte der Dichterin Mary Oliver:
„Wir gehen auf Reisen, nicht um etwas zu gewinnen – um Berge und Gipfel zu erobern -, sondern um uns zu vereinen, zu verlieben und uns zu engagieren; um tiefer zu erfahren, dass das Leben, das wir mit der gesamten Schöpfung teilen, ein Geschenk ist.“
Mehr zu Mary Oliver hier: https://rundfunk.evangelisch.de/kirche-im-radio/wort-zum-tage/mary-oliver-10381
Mehr zur Pilgrim Wanderuniversität: https://potulnauniverzita.cz
Mein Wandern in České Budějovice ist ein ausgedehntes Spazierengehen, eine Begegnung mit der Vielfalt von Kunst und Poesie, wie sie auch bei Pilgrim eine wichtige Rolle spielt, eine Wahrnehmung des Nichtmenschlichen im insektenfreundlichen Garten der Bibliothek durch Nature Journaling zum Beispiel:
Worte in Blüte
im Freien entfaltet sich
was keimt im Gedicht
Susanne Brandt