Licht ins Leben bringen: Erzählen und seelische Gesundheit

Gesundheit und Wohlergehen spielen bei den 17 Zielen für ein gutes Leben eine wichtige Rolle. Schnell kommen einem dabei Ernährung und Fitness in den Sinn. Und Bibliotheken veweisen gern auf einen entsprechenden Ratgeber-Bestand. Im Blick auf die seelische Gesundheit aber gilt es ebenso, dem Thema “Vorlesen” oder “Erzählen mit Kamishibai” besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Denn gerade für die Kommunikation, für gemeinsame Zeiten und einfühlsame Gespräche in und mit Familien ermöglichen Bilderbücher und Geschichten wertvolle Erfahrungen, die der Seele gut tun.

Ein Beispiel: “Der Besuch” von Antje Damm

Die Geschichte und Bilderwelt (als Buch und Kamishibai-Bildkartensatz beim Moritz-Verlag erschienen) beginnt grau, aber sauber und aufgeräumt. Elise, eine ältere Dame, lässt sich von diffusen Ängsten erfolgreich daran hindern, das Haus zu verlassen. Zurückgezogen hat sie sich in eine vermeintliche Sicherheit – bis Emil plötzlich in ihr Leben platzt, ein kleiner Junge, nicht weniger bedürftig nach Vergewisserung und Vertrauen. Bei ihm allerdings äußert sich das in anderer Weise. Denn durch Emil kommt Bewegung in den Alltag von Elise. Und ein erstaunliches Leuchten.

Mit dem wachsenden Farb- und Lichtanteil in den Bildern wachsen Mut und Leichtigkeit – bei Elise wie auch im Miteinander der beiden so verschiedenen Menschen: Sie spielen gemeinsam, sie basteln, lesen und gehen schließlich mit offenem Ende auseinander. Hier können die betrachtenden Kinder mit ihren eigenen Gedanken und Vorstellungen den begonnen Faden weiterspinnen. Überhaupt lässt sich die ganze Geschichte auch ohne die kurzen Texte frei zu den Bildern erzählen:  Was geschieht bei Elise? Was verändert sich, wenn Unerwartetes passiert? Wie könnte es bei beiden – bei dem Jungen wie bei der Frau – weitergehen?

Dialogisch erzählen mit Kamishibai

Bei einem Kamishibai-Workshop für Mitarbeitende in Bibliotheken sind wir diesen und vielen anderen Fragen nachgegangen. Denn die besonderen Chancen der Bildbetrachtung, die sich beim Erzählen mit Kamishibai – oder bei der Präsentation auf einem Erzählweg – ergeben, bieten für ein solches Entdecken und Erzählen im Dialog vielfältige Möglichkeiten. Experten aus verschiedenen Ländern teilen diese Erfahrung: “Ich glaube, dass das visuelle Geschichtenerzählen immer noch ein großes Potenzial hat, um grundlegenden menschlichen Bedürfnisse im kommunikativen und emotionalen Bereich zu verfeinern. Mit der Unterstützung eines Tablets können wir zwar ebenfalls Bilder scrollen, aber die lebendige Präsentation in der persönlichen Vermittlung ermöglicht eine reichhaltigere emotionale Erfahrung”, erläutert  Prof. Naoki Mizushima in einem Interview den Einsatz des Kamishibais. Und von Marco Dallari wird die integrierende Bedeutung dieser bildgestützten Erzählweise als eine Verbindung zwischen dem symbolischen Spiel und dem illustrierten Buch beschrieben. So erweist sich das Kamishibai als ein wertvolles Instrument des Erzählens und der Kommunikation im ursprünglichen universellen Sinne.

Ob nun als Bilderbuch, Kamishibai oder Erzählweg – an Geschichten und Bilderfolgen wie “Der Besuch” wird deutlich, was in der Begegnung und im Dialog miteinander aufleuchten kann: Ein wechselseitiges Erzählen zu Bildern öffnet Fenster und Türen – nicht nur im grauen Alltag der Elise, sondern auch bei den Menschen, die mit solchen Geschichten und Bildern zu überraschenden Begegnungen und Gedanken herausgefordert werden. Nur Mut!

Zum Weiterdenken:

Wenn du beginnst, den Faden eigener Gedanken zu spinnen

Fenster-zur-Welt-7-Ausblicke

 

Übrigens:

Vom 08. bis 18. Oktober 2021 nimmt die Woche der Seelischen Gesundheit in diesem Jahr Familien in den Blick. Unter der Schirmherrschaft des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn und dem Motto Gemeinsam über den Berg  Seelische Gesundheit in der Familie werden bundesweit wieder zahlreiche Veranstaltungen sowohl digital als auch live vor Ort stattfinden und über vielfältige Präventions- und Hilfsangebote aufklären.

 

 

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Flensburg oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt