Klanglandschaften visualisieren – Nature Journaling aus der Perspektive des Hörens

Ein Regentag. Ich setze mich an die geöffnete Tür zum Garten und lausche: Im Hintergrund nehme ich das Grundrauschen einer Straße wahr, im Vordergrund den Gesang einer Amsel, daneben das Tropfen des Regens vom Dach. Erst höre ich mich eine Weile ein in diese Klangcollage. Dann greife ich im Wechsel zu weichen Stiften und versuche, die verschiedenen Klangebenen grafisch nachzuempfinden, lasse den Stift zum Gesang der Amsel in Girlanden übers Papier tanzen, dazwischen die Tropfen…

Ob jemand, der später das Bild betrachtet, nachvollziehen kann, wovon hier „erzählt“ wird? Darum geht es nicht. Eine solche Klangpartitur dient nicht wie eine Notenschrift zum Festhalten und Nachspielen. Sie strebt auch keine wissenschaftliche Genauigkeit an. Vielmehr  unterstützt sie die Konzentration auf das Hören, vertieft und verfeinert Klangvorstellung in ihrer Räumlichkeit – und wenn ich später mal wieder in dem Journal blättre, werde ich mich erinnern…ein grafisches Gedächtnisprotokoll für einen Regenmoment im Garten sozusagen. Und in dieser Funktion ein Dokument für das, was sich auch akustisch über Biodiversität mitteilen lässt.

Denn das Sehen ist nicht der einzige Sinn, mit dem wir die Natur wahrnehmen und erforschen. Zeichnen aus der Perspektive des Hörens – auch damit kann im Rahmen von Nature Journaling experimentiert werden.

Ökoakustik: Klanglandschaften erkunden und erforschen

Dabei ist das, was zunächst wie eine kreative Spielerei anmutet, gar nicht so weit entfernt von dem, was in der Fachsprache Ökoakustik heißt und sich wissenschaftlich mit der Erforschung von Klanglandschaften als Hinweise auf Veränderungen von Biodiversität im Ökosystem beschäftigt.

Ökoakustik meint die Gesamtheit aller Geräusche, die von einer bestimmten Landschaft ausgehen und je nach Raum und Zeit, in der wir sie hören, bestimmte Klangmuster hervorrufen. Zu unterscheiden sind dabei Klänge biologischer Natur (Biophonie) wie hier der Amselgesang, Klänge, die von anderen natürlichen Elementen wie hier vom Regen erzeugt werden (Geophonie) und Klänge und Geräusche, die von  Menschen und ihren Aktivitäten herrühren (Anthropophonie).

Eine daraus sich zusammensetzende Klanglandschaft ist in einem ständigen Wandel begriffen, der auch von Klimaveränderungen und den sich daraus ergebenden meteorologischen Schwankungen mit bestimmt wird. Wir können beim konzentrierten Lauschen und Zeichnen also davon ausgehen, dass sich aus dem, was wir hören, ein bedeutsames Wissen über die Umwelt ableiten lässt. Wir können räumliche und zeitliche Veränderungen in einem Lebensraum erfassen, seine Artenvielfalt erkennen und die durch menschliche Aktivitäten verursachte Lärmbelästigung identifizieren.

Wie auch immer wir davon etwas zu Papier bringen – freie Skizzen zu akustischen Eindrücken helfen bei der Bewusstwerdung und beim Erinnern an die vielfältigen Ausdrucksweisen lebendiger Zusammenhänge und beim Einüben in die Wahrnehmung aus der Perspektive des Hörens.

Eine weitere Praxisanregung: https://www.lernenimgarten.at/methode/eine-geraeusch-landkarte-erstellen

Zum Weiterlesen (in italienischer Sprache):

Alessia Colaianni: Ecoacustica. I paesaggi sonori svelano le minacce per la biodiversità, https://www.sapereambiente.it, 14.5.2020

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Lübeck oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt