Der Internationale Tag des Artenschutzes fällt in die Zeit, da der Winter noch nicht vorbei und der Frühling erst sehr zart spürbar ist. Der Buchenwald am 3. März wirkt eher grau als grün. Kein Tag also, der auf den ersten Blick von Artenvielfalt erzählt und im Wald das Thema Artenschutz sofort ins Bewusstsein ruft.
Doch da! Leuchtend grünes Moos: hier als Kissen am Boden und dort wie eine weiche warme Haut um einen kalten Stein gelegt. Schon ist die Aufmerksamkeit auf das Moos gerichtet: Wo lässt es sich noch finden? Und wo nicht? Wie fühlt es sich an, wenn man mit der Hand darüber streicht? Und ist Moos gleich Moos?
Der Blick wandert weiter und ruht jetzt auf einem alten Baumstamm. Die erste Assoziation: ein tiefer Fußabdruck – mitten im Moos, das sich hier an die Rinde schmiegt.
Genauer betrachtet: eine alte Verletzung vielleicht. Und noch manches mehr hat im langen Leben des Baumes offenbar Spuren hinterlassen. Je älter so ein Baum ist, desto mehr Einflüsse und Zeichen gibt es an ihm und um ihn herum zu entdecken. Dabei gleicht kein Baum dem anderen. Jeder ist auf andere Weise mit verschiedenen Tieren und Pflanzen der Umgebung verbunden, bietet unterschiedliche Voraussetzungen für das Zusammenleben.
Lebensspuren lesen
Witterungseinflüsse und Temperaturen – je nach Standort und Himmelsrichtung unterschiedlich ausgeprägt – spielen dabei eine Rolle. Ebenso Astnarben, Furchen und kleine Höhlen, die Kleinstlebewesen Unterschlupf bieten wie auch frische Verletzungen, aus denen mit glänzenden Spuren Saft austritt – alles das trägt mit zur Vielfalt und Einzigartigkeit dieses Lebensraumes bei.
Je mehr also der alte Baum bereits von seinem langen Dasein gezeichnet ist, Heilungsprozesse und Verwachsungen erlebt hat, sich mit Sonne, Regen und Kälte Jahr für Jahr auseinandersetzt, desto vielfältiger sind die Tier- und Pflanzenarten, die sich an und um diesen Baum herum ansiedeln: Pilze, Moose und Flechten, Insekten, Spinnen – um nur einige zu nennen.
Genau da wird es spannend: Ursache und Wirkung, Bedingungen für ein fein aufeinander abgestimmtes Miteinander – solche Beobachtungen und Mutmaßungen der Kinder sind der Schlüssel für ein Verständnis von Natur, das nicht nur um “niedliche Tieren und Blumen” kreist. Und das sich bereits bei jüngeren Kindern entwickeln kann: nach und nach durch die Lust am Wahrnehmen und das eigene freie Erzählen – zu Habitatbäumen zum Beispiel.
Bei den gastfreundlichen Alten
Habitatbäume – so nennt man solche “gastfreundlichen” und oft hochbetagten Bewohner des Waldes, als Holzlieferanten eher uninteressant, für den Lebensraum Wald insgesamt aber umso kostbarer – jetzt und weiterhin auch dann, wenn sie als Totholz im Wald verbleiben.
Lebendig wie tot sind sie für Artenvielfalt wie Artenschutz im Wald von enormer Bedeutung.
Die Geschichten, die solche Habitatbäume für Kinder wie Erwachsene erzählen können, bieten reichlich Stoff für das Begreifen von ökologischen Zusammenhängen und Biodiversität – staunend, fabulierend und naturkundlich zugleich.
Dabei kann der erste Zugang zunächst wie ein Suchspiel beginnen, das erstmal gar nicht viel Wissen voraussetzt. Zum Beispiel: Wer entdeckt die meisten “Baumaugen”, also jene Astnarben in der Rinde, die nach einer längeren Zeit mitunter die Form eines Auges annehmen?
Oder findet jemand vielleicht noch eine ganz andere Narbenform, die der Phantasie Futter gibt für eine Idee oder Geschichte, die sich dazu erzählen ließe?
Mit der Wahrnehmung fängt es an.
Durch sie kommen Ideen und Fragen ans Licht – bei jedem Kind auf andere Weise. Die Wege, über das eigene Entdecken eine Beziehung zur Umwelt aufzubauen, können also ganz unterschiedlich akzentuiert sein, mit sinnlichen und emotionalen Erfahrungen einhergehen, durch Geschichten vertieft werden oder von einem ausgeprägten Sachinteresse herrühren.
Kinder sind Finder
Wie auch immer: Kinder sind Finder! Oft entdecken sie das, was sie spannend, komisch, interessant finden von ganz allein. Und der Wald erzählt in vielerlei Sprachen.
Ausgehend von den Wahrnehmungen der Kinder entspinnt sich ein Thema oft im Gespräch miteinander. Gemeinsam wird ausgetauscht, überlegt, zusammengetragen, was sich hier zeigt, was wir bereits darüber wissen, was das Überraschende bedeuten könnte und was dazu nun noch weiter zu erforschen wäre – mit allen Sinnen und mit dem genauen Blick fürs Detail.
Auch die Vielfalt und Lebensbedingungen der Arten lassen sich so rund um einen alten Buchenstamm im Dialog erkunden.
Und Fragen, die offen bleiben? Für die gibt es Wege zum Weitersuchen (in Büchern, mit Fachleuten, im Internet), bei denen wir Kinder begleiten können – aber zugleich selbst von den Kindern lernen, von ihrer besonderen Fähigkeit, kleinste Details in den Blick zu nehmen, Zusammenhänge zu vermuten, Erklärungsversuche zu wagen, sich Wissen nach und nach auf vielfältigen Wegen gemeinsam zu erschließen…und die alten Bäume als wertvolle und beschützende Gastgeber zu achten und zu erhalten.
Zum Weiterlesen:
https://www.habitatbaum.com/de/
Susanne Brandt