Kamishibai in Italien – vielfältig und in Bewegung

Die internationale Kinderbuchmesse in Bologna ermöglicht jährlich den internationalen Austausch unter Menschen, die sich für Kinderliteratur und Erzählkulturen engagieren. Sie hat sicher auch dazu beigetragen, dass sich in Italien eine Kamishibai-Bewegung entfalten und weiterentwickeln konnte, die einerseits von Kontakten zur japanischen Kamishibai-Tradition inspiriert ist, zugleich aber auch Raum lässt für verschiedene Akzente und Spielarten mit Kamishibai in der Praxis. Davon zeugt die neu erschienene Publikation “Kamishibai – Istruzioni per l’uso”, herausgegeben mit Beiträgen zu verschiedenen Aspekten von Paola Ciarcia und Mauro Speraggi.

Darin findet sich zunächst eine Einführung in praktische Grundlagen des Erzählens mit Kamishibai, recht nah an der japanischen Tradition. Diese wird in einem weiteren geschichtlichen Kapitel ausführlich dargestellt – auch mit ihren dunklen Phasen, in denen die Faszination durch Kamishibai für Propagandazwecke missbraucht wurde. Aber deutlich wird ebenfalls: Dieses fundierte Wissen um die japanische Tradition schließt nicht die Weiterentwicklung und Variantenbildung in anderen Kulturen aus.

Auf Bedürfnisse der Kinder eingehen

In einem Interview mit Prof. Naoki Mizushima in dem Buch sagt er selbst u.a. dazu:
“Anstatt die typischen Merkmale der japanischen Kultur hervorzuheben, würde ich hoffen, dass jede Kultur durch die Wiederentdeckung von Ideen und Ausdruckssprachen, der Kultur, der Gesten zugunsten einer integralen und reichen Bildung, die auf die Bedürfnisse der Kinder eingeht, tiefer in das Herz eindringen kann. Dies könnte der Beitrag von Kamishibai sein, anstatt zu betonen, was typisch japanisch ist.(…) Ich glaube, dass das visuelle Geschichtenerzählen immer noch ein großes Potenzial hat, um diese grundlegenden menschlichen Bedürfnisse im kommunikativen und emotionalen Bereich zu verfeinern. Mit der Unterstützung eines Tablets können wir zwar ebenfalls Bilder scrollen, aber die lebendige Präsentation in der persönlichen Vermittlung ermöglicht eine reichhaltigere emotionale Erfahrung.” (S. 34/35, übersetzt)

Entsprechend vielfältig sind auch die Aspekte, die in weiteren Beiträgen des Buches erörtert werden: Mal mit besonderer Aufmerksamkeit auf die Bilddramaturgie (hier auch mit Bezug zu japanischen Mangas), mal mit dem Fokus auf Kamishibai als Theaterform (auch in der Variante des Schattenspiels) oder in Verbindung mit der Klangwelt einfacher Musikinstrumente. Mal werden die künstlerischen Herausforderungen und mal die pädagogischen Möglichkeiten betont. Und schließlich wird wiederum von Marco Dallari die integrierende Bedeutung des Kamishibai in seinen vielfältigen Spielarten beschrieben, bei denen es im Kern um ein elementares Bedürfnis aller Kulturen und Religionen geht: das Denken, Kommunizieren und Weitergeben von Erfahrungen durch Geschichten. Das Kamishibai bietet hierfür, so Dallari, eine Verbindung zwischen dem symbolischen Spiel und dem illustrierten Buch mit seinen Geschichten und erweist sich dabei als ein wertvolles Instrument des Erzählens und der Kommunikation im ursprünglichen universellen Sinne. Schöpferisches Spiel und Symbolverständnis, Kommunikation und Buchkultur finden beim Kamishibai zueinander – in welcher Variante auch immer.

Kamishibai als Instrument der Kommunikation, das Spiel und Buch verbindet

Marco Dallari führt in dem Buch dazu u.a. aus: “Eine Erzählung ist ein Akt der Kommunikation eines Ereignisses, real oder imaginär, mit dem der Empfänger an diesem Wissen teilhaben kann. Denn es ist zu allererst die kommunikative Praxis, die in der Lage ist, eine Erfahrung weiterzugeben, auch wenn sie weit entfernt vom räumlichen und zeitlichen Kontext ist, in dem die Kommunikation stattfindet. Am Ursprung jeder Gesellschaft und jeder Kultur gibt es ein tiefes Bedürfnis zu erzählen, so wie es notwendig ist, über sich selbst zu erzählen. Religionen entstehen in Form großer Geschichten (…) Das Teilen der religiösen Erzählung ermöglichte eine soziale Verankerung, schuf und stärkte das Gedächtnis der Existenz einer Gemeinschaft und eröffnete die Möglichkeit, dass sich ein Subjekt in eine Tradition und in eine Gruppe eingefügt fühlte, eingebunden und verbunden mit dem, was außerhalb von ihm existiert. Und obwohl diese Phänomene heute stark geschwächt sind, hören sie nicht auf, auch für jene zu funktionieren, die sich zwar nicht als Gläubige definieren, wohl aber ihre Teilhabe an einem symbolisch-erzählenden Erbe erkennen (…).

Das Kamishibai macht dabei zunächst einen simplen Eindruck, ist dabei aber ein äußerst komplexes Erzählinstrument. Es greift einerseits die ursprüngliche Dimension des mündlichen Erzählens auf der Straße auf, ist aber zugleich mit der Erfindung des Buches verbunden, da beim Kamishibai bzw. durch den Geschichtenerzähler mit diesem Instrument ein Wechseln von Seiten und ein Zeigen von Bildern geschieht. Aus diesem Grund ist es aus pädagogischer Sicht ein besonders wertvolles Instrument. Tatsächlich können Eltern und Erzieher die Kontinuität zwischen Spiel und Buch, zwischen spielerischer Fiktion und narrativem Universum nur selten erfahrbar machen.(…) Hier schafft das Kamishibai als eine unter vielen Eigenschaften, die wir ihm zuschreiben können, die Verbindung zwischen dem symbolischen Spiel und dem illustrierten Buch.

Für Gregory Bateson ist das “Denken in Geschichten” ein besonderes Merkmal des menschlichen Wesens. Nur die Modelle und Strukturen von Erzählungen sind in der Lage, der menschlichen Anschauung Sinn und Ordnung zu verleihen – auch in allen Vorstellungen, die Individuen aus sich selbst konstruieren. Deshalb: Vermitteln Sie das Verständnis und die Wertschätzung für Geschichten und übernehmen Sie die Rolle eines verantwortungsbewussten Geschichtenerzählers. Dies ist keine leichte, aber eine äußerst wichtige Aufgabe für alle Eltern, Erzieher und Lehrer. Das Kamishibai mit all seinen Arten, wie er konzipiert, verwirklicht und genutzt werden kann, ist ein außergewöhnliches Instrument für diese besondere Mission.” (S.44/48, übersetzt)

Susanne Brandt

Quellenhinweise:

Zitate (Übersetzung: Susanne Brandt) entnommen aus: Kamishibai – Istruzioni per l’uso. A cura di Paola Ciarcià e Mauro Speraggi (Bezugsadresse: https://shop.artebambini.it)

weitere Adressen und Bezugsquellen für Bildkartensätze aus Italien:
Materialien für Kamishibai in Italien gibt es vor allem bei www.artebambini.it, aber mit einzelnen Titeln z.B. auch bei Carthusiaedizioni und Erickson.

Ebenfalls interessant zur Herkunft des Kamishibai:

Very special Ks: kamishibais, from “kokusaku” to “kyokan”, ie from war propaganda to sharing the same feelings

Susanne.brandt

Bedenkt und entdeckt das Leben in Flensburg oder unterwegs - am liebsten zu Fuß und in der Begegnung mit anderen. Lernt, schreibt, singt, erzählt, teilt und lässt sich jeden Tag vom Möglichen überraschen. Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Brandt