Einige ganz unterschiedliche Sach- und Bilderbücher zum Thema „Flucht“ sind in den vergangenen Monaten erschienen. Da reiht sich dieser neue Titel ein und fällt zugleich aus dem Rahmen. Denn allein schon die Entstehungsgeschichte und Illustrationsart ist bemerkenswert: Die poetische Ich-Erzählung eines Kindes, das mit seiner Familie die Heimat verlässt, führt entlang an Bildszenen, die der syrische Bildhauer Nizar Ali Badr auf dem Dach seines Hauses aus gesammelten Steinen eines nahen Bergs zusammenlegt – manchmal nur für das Foto, um anschließend etwas Neues daraus entstehen zu lassen. Das Unfixierte, immer wieder dem Wandel ausgesetzt, das Warmherzige und Zärtliche in der Schwere des Materials findet in der dazu beschriebenen Fluchterfahrung seine Entsprechung: Ohne festgelegt zu sein auf ein Land, eine Zeit, eine Fluchtroute, geht es um eine Familie, die den Frieden und die Freiheit verloren hat und aus Angst und Not aufbricht, um anderswo neu Hoffnung zu schöpfen. Bedrückendes und Grausames wird in der Geschichte – wie in den Bildern – angedeutet, aber nicht ausgemalt. Der lange Weg endet glücklich. Das wird in der Realität nicht immer so sein. Aber die Botschaft, die die Steinbilder und den deutsch-arabischen Text über die Handlung hinaus miteinander verbindet, gilt für die Realität wie für die sensibel erzählten Erlebnisse aus kindlicher Perspektive gleichermaßen: Einfühlung und Verständnis füreinander schenken den Frieden, der auf der Welt für so viele Menschen immer wieder neu gesucht werden muss – und sich irgendwo neu finden lässt. Ein Nachwort informiert über die erstaunliche Entstehungsgeschichte des Buches. Kreative Vertiefungsmöglichkeiten mit gelegten Steinbildern eröffnen sinnliche Wege der Auseinandersetzung im Vor- und Grundschulbereich und überall, wo Menschen sich durch das Buch zu Begegnungen einladen lassen.
Susanne Brandt